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Erfindung der modernen deutschen Literatur
"Wieland" von Jan Philipp Reemtsma
Ende des 18. Jahrhunderts war Christoph Martin Wieland der meistgelesene deutsche Schriftsteller, nur wenige Jahrzehnte später verstaubten seine Bücher in den Regalen. Dabei hatte Wieland die deutsche Literatur und Oper revolutioniert und Napoleon getroffen.
27. April 2023, 02:00
Die Stoffe, die sich Christoph Martin Wieland vornahm, waren nicht neu, das waren antike Mythen oder mittelalterliche Rittersagen. Was er aus ihnen herausholte, machte Wieland allerdings zum Bestsellerautor.
Wie ein musikalisches Wunderkind
Anfangs gab es bei der Leserschaft zwar noch ein gewisses Befremden wegen des bisweilen schlüpfrig-lasziven Tonfalls, der war aber eingebettet in eine vorher nicht dagewesene Musikalität der Sprache. Wielands Feder scheint gleichzeitig auch Dirigentenstab gewesen zu sein. "Wie ein musikalisches Wunderkind, das ein Klavier sieht und gleich weiß, was es machen muss, so machte Wieland von klein auf Verse und das mit einem unglaublichen Sinn für Reim und Rhythmik", so Jan Philipp Reemtsma.
Am Hof von Weimar
Heute am bekanntesten sind Wielands Dichtungen, der "Idris" etwa, oder die Versnovelle "Musarion oder die Philosophie der Grazien". Seine Popularität führte schließlich zum Ruf an den Hof von Weimar, noch vor Goethe, Schiller und Herder. Dort wurde er zum Lehrer des zukünftigen Herzogs Karl August und erfand eine neue Form der Oper.
Als universell interessierter und politisch wacher Geist brachte Wieland auch eine einflussreiche Zeitschrift heraus, den "Teutschen Merkur". "In dem Blatt wurden Fragen der Grammatik erörtert und technische Neuerungen diskutiert", so Reemtsma. "Da ging es etwa darum, ob die Telegrafie genügend gefördert würde, oder um die Wirksamkeit der Pockenimpfung, weil es damals immer wieder zu Impfdurchbrüchen gekommen war."
Herausgeber des "Teutschen Merkur"
Zentral war auch die politische Berichterstattung, besonders relevant wurde der "Teutschen Merkur", als sich 1789 in Paris mit dem Sturm auf die Bastille die Ereignisse überschlugen. "Wieland nutzte seine Herausgeberschaft nicht zuletzt dafür", so Reemtsma, "sein Publikum über die Französische Revolution auf dem Laufenden zu halten. Sein Ziel war, seine Leser urteilsfähig zu machen, also sie zu schulen, selber nachzudenken."
War nicht sonderlich beeindruckt von Napoleon
C. H. BECK
Dass Napoleon sich zum Alleinherrscher aufschwingen könnte, erkannte Wieland schon früh, später, Wieland war damals bereits jenseits der 70, kam es sogar zu einem Treffen mit dem Franzosen. "Sie haben sich in Weimar eine Stunde lang unterhalten" erzählt Jan Philipp Reemtsma, "Wieland war aber nicht sonderlich beeindruckt von Napoleon."
Für das 19. Jhd. nicht zu gebrauchen
Da stellt sich die Frage, wie ein Mann wie Christoph Martin Wieland, der nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als politisch wacher Beobachter derart im Zentrum des Geschehens stand, derart an Bedeutung verlieren konnte. "Wieland war weder Patriot noch Nationalist und damit für das, was im 19. Jahrhundert von Bedeutung war, nicht zu gebrauchen", so Reemtsma. "Außerdem war er kein Theaterautor, man konnte also nicht aus einer Wieland-Premiere kommen."
"Die Erfindung der modernen deutschen Literatur" lautet der Untertitel von Jan Philipp Reemtsmas Wieland-Biografie und Reemtsma widmet dem genauen Lesen des Werks auch große Teile seines 700 Seiten starken Buchs. Dass Reemtsma nicht nur ein jahrzehntelanger, sondern auch leidenschaftlicher Wieland-Kenner ist, sorgt für eine mitreißende Lektüre, dazu kommt, dass Reemtsma einen anderen Wieland-Fan, den Schelm Arno Schmidt mit im Gepäck hat.
Service
Jan Philipp Reemtsma, "Christoph Martin Wieland - Die Erfindung der modernen deutschen Literatur", C. H. Beck
Gestaltung
- Wolfgang Popp