Zwischenruf

von Bischof Michael Bünker (Wien)

Nein, ich werde heute nicht von der Euro sprechen, auch wenn es der Tag des Endspiels ist. Fußball ist vielleicht wirklich die schönste, aber eben immer nur Nebensache der Welt. Mich interessiert nicht die, sondern stattdessen der Euro und die andauernde Krise der Banken und Staatshaushalte, die Europa fest im Griff zu haben scheint. Auch wenn der am vergangenen Donnerstag und Freitag in Brüssel abgehaltene EU Rat, das Treffen der Regierungschefs, so weit und so gut es geht Beschlüsse gefasst hat, die ein gemeinsames Handeln der EU Staaten möglich machen, wird damit die Realität der Wirtschaft nicht mit einem Schlag geändert sein. Das Vorhaben, die Staatshaushalte auf intelligente Art zu konsolidieren, soll von einer Wachstums- und Beschäftigungsinitiative begleitet werden. Dabei steht natürlich die erschreckende Situation der Jugendarbeitslosigkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass wir in Österreich davon nicht oder nicht so stark betroffen sind, ist kein Grund, sich in trügerischer Beruhigung zurückzulehnen. Viel zu sehr sind die Länder Europas seit langem miteinander durch wirtschaftliche Kooperationen verbunden. Die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Migration, demographische Entwicklung und Klimawandel können nur gemeinsam bewältigt werden. Daher ist es meiner Meinung nach illusorisch, wenn so getan wird, als könnten die Länder Europas ohne ein verbindliches Miteinander in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht einen verantwortungsvollen Zukunftsweg beschreiten.

Vor einiger Zeit erschien unter der Überschrift "Wir sind Europa" ein Manifest zur Neugründung der EU von unten, wie es im Untertitel heißt . Gegenwärtig - so dieses Manifest - wird die EU von Verwaltung und Regierungen bestimmt. Das muss sich ändern, es braucht die breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Erstunterzeichnende des Manifests sind europäische Politiker und Politikerinnen wie Gesine Schwan und Jacques Delors, Künstler und Künstlerinnen wie Herta Müller und Imre Kertesz sowie Intellektuelle wie Jürgen Habermas und Navid Kermani. Europa braucht nicht nur empörte Wutbürger, die sich über die Bürokratie in Brüssel erregen, sondern engagierte Europäer und Europäerinnen. Vielleicht haben wir - um einen berühmten Ausspruch von John F. Kennedy aufzugreifen - allzulange nur gefragt, was Europa für uns tun kann und was wir von Europa haben, als die umgekehrte Frage zu stellen, was wir für Europa tun können und tun sollen. Dabei ist es offensichtlich, dass es Reformen braucht. In ganz Europa und damit in jedem der einzelnen Mitgliedsländer, auch in Österreich. Die Baustellen sind schon lange bekannt, es sind die öffentliche Verwaltung, das Gesundheitssystem, die sozialen Fragen der Existenzsicherung, der Pflege und der Pensionen und immer wieder das Bildungssystem. Diese Reformen stocken, weil sich Europa nicht nur in einer wirtschaftlichen, sondern vor allem auch in einer politischen Krise befindet. Niemand, dem ernsthaft am Zusammenleben in der Gesellschaft, also an der Politik gelegen ist, wird damit zufrieden sein, dass sich Demokratie in regelmäßig wiederkehrenden Abstimmungen erschöpft. Europäische Politik braucht Beteiligung, denn Europa ist ein Labor sozialer und politischer Ideen, das einmalig ist auf der Welt. - "Doing Europe" heißt es im Manifest.

Aus evangelischer Sicht ist eine Erinnerung an die Reformation hilfreich. Sie veränderte alle Bereiche der damaligen Gesellschaft, von der Wirtschaft bis zur Wissenschaft, von der Politik bis zur Kunst. Evangelisches Verständnis von Europa ist nie rückwärtsgewandt, sondern immer nach vorne, in die Zukunft hinein offen. Die Frage steht im Mittelpunkt: Wie soll dieses Europa morgen aussehen? Wozu soll es gut sein? Und: Was ist uns das heute wert? Jede Krise ist auch eine Chance. Es spricht mich an, wenn im Manifest "Wir sind Europa" Dialog und Vielfalt als Kennzeichen des Kontinents genannt werden und dazu die Fähigkeit, gelassen zu sein und über sich selbst auch zu lachen. Es braucht das tätige Miteinander der Bürgerinnen und Bürger - heißt es - um Europa mit Leben und Lachen zu füllen. Das kommt mir irgendwie recht evangelisch vor.

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