Zwischenruf

von Dr. Susanne Heine (Wien)

"Wege zur Religionsfreiheit" - Evangelische Christen und Muslime in Österreich

Heute ist der 15. Juli. Genau vor 100 Jahren, am 15. Juli 1912 in Bad Ischl: Kaiser Franz Josef unterzeichnet ein Gesetz mit Langzeitwirkung. Dort heißt es: Den Anhängern des Islams wird in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern die Anerkennung als Religionsgesellschaft gewährt. Dahinter stand kein Anfall von Großzügigkeit des Kaisers, sondern eine Notwendigkeit. Denn bereits 1848 hatten revolutionäre Bewegungen Meinungs- und Pressefreiheit, das Ende der Zensur und Religionsfreiheit gefordert. 20 Jahre später hielt das Grundgesetz von 1867 fest: "Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet" und: "Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig", ist aber zugleich "wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen".

Damit war die Zeit der bloßen Religionstoleranz zu Ende gegangen, die Josef II. in die Wege geleitet hatte. Sein Toleranzpatent von 1781 bezog sich auf die nicht-katholischen Christen, also auf Orthodoxe und Evangelische und auch auf die Juden. Fast 80% der Bevölkerung waren im Zuge der Reformation evangelisch geworden und wurden durch die Gegenreformation auf heutige knapp 4% dezimiert. Sie waren nun geduldet, aber nicht gleichberechtigt. Sie durften ihren Glauben praktizieren, allerdings nur als "Privat-Exercitium". Sie konnten eigene Gebetshäuser errichten, allerdings ohne Glocken und Kirchtürme und ohne Eingang von der Straße; sie sollten nicht öffentlich erkennbar sein. Das hätte vor 1867 auch für Moscheen und Minarette gegolten, wäre der Islam damals spruchreif gewesen.

Spruchreif wurde der Islam durch die Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908 durch Österreich-Ungarn. Dies machte es notwendig, ein Gebiet mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung in das Rechtssystem der Monarchie einzugliedern und mit dem Staatsgrundgesetz in Einklang zu bringen. Mit der Integration des Islam in die staatliche Rechtsordnung stellt Österreich bis heute einen singulären Fall dar. Und schon damals war Österreich ein multireligiöses Land.

Das Islamgesetz von 1912 "ruhte" nach dem Ende der Monarchie und wurde von Muslimen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aktiviert. Denn die Zahl der Muslime in Österreich wuchs seit den 1960-er Jahren vor allem durch Gastarbeiter aus Bosnien und aus der Türkei. So kam es mit 2. Mai 1979 zur Einrichtung der bis heute bestehenden "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich".

Evangelische und Muslime haben in Österreich eine teilweise ähnliche und mit anderen Ländern nicht vergleichbare Geschichte. Deshalb wissen evangelische Christen hierzulande, was es heißt, sich gegen Diskriminierung und für gegenseitigen Respekt einzusetzen. In allen Religionen gibt es Extremisten, aber an ihnen darf eine Religion nicht gemessen werden. "Selig, die Frieden stiften" heißt es in der Bergpredigt. In diesem Sinn hat die Evangelische Kirche in Österreich die Orientierungshilfe "Evangelische Christen und Muslime in Österreich" ausgearbeitet; sie wurde im Oktober 2011 von der Generalsynode A. und H.B. offiziell verabschiedet. Es handelt sich um ein christliches Dokument, das drei Zielen folgt: Es will dem Selbstverständnis des Islam so gut wie möglich gerecht werden. Es weiß sich dem christlichen Auftrag zur Friedensstiftung verpflichtet. Und es bekundet den in islamisch geprägten Ländern diskriminierten und am Leben bedrohten Christen und Christinnen Solidarität.

Inzwischen ist diese Orientierungshilfe unter dem Titel "Respektvoll miteinander" in Buchform erschienen. Sie will dazu beitragen, dass Christen und Muslime mehr voneinander wissen und in friedlicher Nachbarschaft leben können. Denn Österreich ist schon 100 Jahre lang ein multireligiöses Land.

Service

Buch, Evangelische Kirche A und HB in Österreich (Hg.), "Respektvoll miteinander - Evangelische Christen und Muslime in Österreich", Evangelischer Presseverband

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