Gedanken für den Tag
Von Andreas Muhar. "Was ich alles nicht weiß" - Wissenswertes über das Nichtwissen. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer
7. September 2012, 06:56
Die Integration verschiedener Wissensarten ("Expertenwissen", "Laienwissen") bei der Lösung von Nachhaltigkeitsfragen ist einer der Forschungsschwerpunkte von Andreas Muhar, Professor an der Universität für Bodenkultur Wien.
In den "Gedanken für den Tag" setzt er sich rund um den Beginn des neuen Schuljahres mit dem "Nichtwissen" auseinander. Dieses sei nämlich oft besser als sein Ruf, so Muhars provokante These.
Nichtwissen als Wert
"Wissen ist Macht." Heißt das in der Umkehrung zwangsläufig: "Nichtwissen ist Ohnmacht"? In vielen Fällen wohl schon, aber nicht immer. Das Nichtwissen kann durchaus auch seine hilfreichen Seiten haben.
Ich denke da an die vielen erdichteten oder auch wahren Kriminalgeschichten, wo Menschen umgebracht werden, weil sie zu viel wissen. Da kann es gut sein, nichts zu wissen, nichts gesehen zu haben.
Nichtwissen schützt in den Augen vieler Menschen auch oft vor Verantwortung. "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". Viele Menschen wollen gar nicht alles über die dunklen Seiten ihrer Familiengeschichte oder ihrer aktuellen Lebenssituation wissen. Oder darüber, unter welchen Umständen die Produkte, beispielsweise die Lebensmittel hergestellt werden, die sie täglich konsumieren. Weil wenn sie es wüssten, dann müssten sie ja vielleicht Handlungen setzen, Konsequenzen ziehen. Nichtwissen ist ein gutes Ruhekissen. Ob es legitim ist, sich durch bewusstes Nicht-Wissen-Wollen quasi aus der Verantwortung zu stehlen, sei dahingestellt.
Nichtwissen kann aber auch ein wichtiger Schatz sein, um neue Wege zu unkonventionellen Lösungen aufzuzeigen. Wer alles weiß, wird bald betriebsblind. Nichtwissende hingegen müssen sich etwas einfallen lassen. Vom französischen Regisseur Sacha Guitry ist der Ausspruch überliefert: "Das wenige, das ist weiß, verdanke ich meinem Nichtwissen."
Ich staune immer, wenn ich Prüfungsarbeiten korrigiere, welche Kreativität manche Studierenden entwickeln, die den Prüfungsstoff eindeutig nicht wissen, aber herrlich herumfabulieren. Das meiste davon ist natürlich Unsinn, aber manchmal sind da auch erfrischend unkonventionelle Ideen dabei, die ein Wissender vielleicht gar nicht entwickeln kann.
Eine Zusammenarbeit zwischen Wissenden und Nichtwissenden kann, wenn sie richtig angelegt wird, für beide Seiten fruchtbar sein. In unserem von Fachwissen geprägten Arbeitsalltag, in der Forschung, in der Projektplanung sind solche Ansätze recht wenig verbreitet, da gibt es noch viel Spielraum für Experimente.
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Playlist
Titel: GFT 120907 Gedanken für den Tag / Andreas Muhar
Länge: 03:49 min