Da capo: Tonspuren
"Der Preis der Freiheit." Die ägyptische Aktivistin und Schriftstellerin Nawal El Saadawi. Ein Besuch in Kairo. Von Eva Roither.
5. Juni 2014, 16:00
Mit sieben Jahren schrieb sie ihren ersten Brief. Der Adressat war kein geringerer als Gott. Von der Großmutter hatte die dunkelhaarige Nawal aus dem Dorf Kafr Tahla gehört, dass ihr älterer Bruder mehr wert sei als sie, dass ein Bub mindestens so viel wert sei wie fünfzehn Mädchen. Eine logische Erklärung dafür blieb aus. Und als Nawal protestierte, hieß es: "Es ist Gottes Wille, Gott ist gerecht." Also schrieb das Mädchen: "Gott, du bist nicht gerecht, du bevorzugst meinen älteren Bruder, obwohl ich intelligenter und fleißiger bin als er. Da Du nicht gerecht bist, bin ich auch nicht bereit, an Dich zu glauben."
Widerstand und Rebellion - das hat die 1931 geborene Nawal El Saadawi, die spätere Ärztin, Psychiaterin, Feministin und Schriftstellerin geprägt. Als Schülerin demonstriert sie gegen König Faruq und die britische Kolonialmacht. Als Ärztin und Direktorin für Gesundheitserziehung im ägyptischen Ministerium veröffentlicht sie 1972 eine Studie über Frauen und Sexualität. Sie greift Tabuthemen wie die Klitorisbeschneidung auf, der sie selbst - wie Millionen andere ägyptische Mädchen auch - unterzogen wurde und wird aus dem öffentlichen Dienst entlassen.
Als Schriftstellerin, die politisches Engagement und literarische Arbeit verbindet, kritisiert sie die "Politik der Öffnung" von Präsident Sadat und landet im Gefängnis. Als ihr Name Anfang der 1990er auf Todeslisten von Fundamentalisten auftaucht, flieht sie in die USA und kehrt 1996 nach Ägypten zurück. Im Westen, dem sie ebenso kritisch begegnet, wie ihrem eigenen Land, hält sie Vorlesungen über "Widerstand und Kreativität".
Viele Jahre später, im Februar 2011, sieht man eine weißhaarige Nawal auf dem Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo, sie ist umgeben von Männern, die ihr mit offensichtlichem Respekt begegnen. Und die wie sie gegen das Mubarak-Regime rebellieren. Die 80-jährige Frau, mittlerweile mit zahlreichen hauptsächlich europäischen und amerikanischen Preisen und Ehrendoktoraten ausgezeichnet, hält einen Zettel in der Hand. Ist es ein Brief? "Gerechtigkeit" steht drauf "Wir kämpfen für wirtschaftliche, politische und soziale Gerechtigkeit. Für Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, zwischen Christen und Moslems. Ich bin hier, weil ich ein Teil dieses Landes bin."
Eva Roither hat Nawal El Saadawi in Kairo besucht.
Redaktion: Alfred Koch
Ton: Martin Leitner
Soundstücke: Stefan Weber
SprecherInnen: Irina Wanka, Alexandra Tichy, Philip Scheiner
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Nawal Saadawi
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