Merkels Führungsstil in Frage gestellt
Reihenweise Rücktritte in CDU
Seit zehn Jahren steht Angela Merkel an der Spitze der deutschen Christdemokraten. Die Riege der potenziellen oder vermeintlichen Kronprinzen hat sich mittlerweile aufgelöst. Allein in den vergangenen zehn Monaten sind der CDU sechs Regierungschefs in den Ländern abhanden gekommen. Ihr Führungsstil und ihr Programm wird kritisiert.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 19.07.2010
Vielschichtige Gründe für Rücktritte
Der vorerst letzte in der Reihe hat sich Sonntagabend in Hamburg die große Freiheit genommen. Nach neun Jahren als Bürgermeister wollte Ole von Beust nicht mehr, mitten in der Legislaturperiode. Die Gründe sind vielschichtig, einer davon ist, dass der Architekt der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene die Lust aufs Regieren verloren hat. Der Hamburger ist zwar keines der echten Schwergewichte in der CDU, aber verkörpert in der Partei ein liberales und urbanes Lebensgefühl. Von Beust sollte als moderner Konservativer die großstädtischen Wähler für die CDU attraktiv machen. Stammwähler sollten sich hingegen bei anderen wiederfinden, etwa bei Roland Koch, der seinen Rückzug aus der Politik, ebenfalls mitten in der Legislaturperiode, vor wenigen Wochen so begründet hat. "Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben."
"Domino Day" unter Politikern
In der CDU spricht man angesichts der Abgänge der Regierungschefs und auch von Bundespräsident Horst Köhler bereits vom "Domino Day". Von einem Aderlass spricht Wolfgang Bosbach, ein Schwergewicht in der Unionsfraktion im Bundestag. "Wir können nicht ernsthaft so tun als sei es nichts besonderes, wenn sechs Regierungschefs innerhalb eines Jahres von der Union aus ihrem Amt schaden. Natürlich ist das ein Verlust, der zunächst einmal kompensiert werden muss und das ist nicht einfach", sagt Köhler.
Merkel ohne Programm
Bosbach ist einer, der von der Kanzlerin und Vorsitzenden mehr an Linie wünscht und vor einem Zerfall warnt. Andere sehen die Partei unter Angela Merkel schon ideologisch weichgespült und weitgehend programmfrei. Wenn Angela Merkel sagt: "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial. Und das macht die CDU aus." Da dürfe es nicht wundern, wenn es an der Basis bröckle und innerhalb kurzer Zeit einflussreiche Christdemokraten nicht mehr wollten.
"Kein Wir-Gefühl in CDU"
Aus Sicht von Mariam Lau, Redakteurin des Wochenmagazins "Die Zeit", ist es Angela Merkel bis heute nicht gelungen, für ihren Kurs in der CDU so etwas wie Begeisterung auszulösen. "Es sind sechs Ministerpräsidenten. Das ist praktisch eine ganze Generation, die ausfällt. Eines fällt auf sie zurück: Es ist ihr nicht gelungen, in ihren Leuten das Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Das Gefühl, sie hätten sich zusammen ein gutes Projekt vorgenommen und können in der wichtigsten und schlimmsten Krise nicht einfach gehen. Das ist Merkel nicht gelungen", fügt Lau hinzu.
Führungsstil in Frage gestellt
Die Abgänge werden einmal mehr Fragen über den Führungsstil von Angela Merkel aufwerfen. Dazu mischt sich Kritik an ihr, dass sie zu manchem Hoffnungsträger in der CDU immer wieder Distanz erkennen lässt. Merkel möge es offenbar an der Spitze einsam, reüssieren manche Christdemokraten in Berlin. Die Abstimmung bei der Wahl zum Bundespräsidenten habe bereits gezeigt, dass der Unmut in den Reihen der CDU keine vernachlässigbare Größe mehr ist. Ein paar Monate hat Angela Merkel Zeit, die innerparteilichen Probleme zu lösen – bis zum CDU-Konvent im November, wenn auch drei der vier Stellvertreterposten zu besetzen sind.