Soziologe: Aus Fehlern lernen
Mehr Sachlichkeit in Zuwandererdebatte
Über eine Rot-weiß-rot-Card soll Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften gesteuert werden. Für den Soziologen und Integrationsforscher Kenan Güngör ist das ein wichtiger, pragmatischer Zugang, der weg von einer zum Teil hysterischen Politik führe. Neue Regeln seien begrüßenswert, notwendig wäre dann aber auch ein anderer menschlicher Umgang, die Zugewanderten nicht nur als Facharbeitskräfte zu sehen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 28.07.2010
"Differenzierte Zuwanderung"
Weniger Emotionalität, sondern mehr Sachlichkeit - die Zuwanderungspolitik sei nun geprägt von neuen Tönen, sagt Kenan Güngör. Das tue der politischen Kultur in Österreich sehr gut. Denn dass Österreich Zuwanderer brauche, sei seit Jahren bekannt, bestimmte Branchen suchten trotz Wirtschaftskrise dringend nach Arbeitskräften. Es sei höchst an der Zeit, sich nun Gedanken zu machen und erste Schritte in die Richtung zu unternehmen. Allerdings gehe es nicht nur um hoch qualifizierte Arbeitskräfte, sagt Kenan Güngör. Man brauche ein "differenzierte Zuwanderung", also auch gering qualifizierte Zuwanderung etwa im Bereich der Pflege.
Aus Fehlern lernen
Jenen Zuwanderer, die nach Österreich kommen sollen, müsse aber auch etwas geboten, denn es kommen nicht nur als Arbeitskräfte sondern als Menschen. Und sie kommen nicht allein, sondern mit Familie. Da spielen das Umfeld, das gesellschaftliche Klima sowie bürokratische Hürden eine wichtige Rolle. "Das Thema Work-Life-Balance spielt eine Rolle", so Küngör. Man dürfe nicht den Fehler wie in den 1960er-Jahren machen, als man Arbeitskräfte geholt habe ohne zu berücksichtigen, dass diese Menschen Familien haben und eine Umgebung brauchen. Österreich müsse aus den 40 bis 50 Jahren Erfahrung lernen, betont der Integrationsexperte.
Widerspruch Praxis und Politik
Kenan Güngör unterscheidet bei der Integrationspolitik zwischen zwei grundsätzlichen Entwicklungen. So gebe es viele Integrationsprojekte und Bemühungen auf kommunaler Ebene. Aber auch eine symbolische, öffentliche und mediale Politik, die von der FPÖ dominiert sei. "Wir haben die absurde Situation in Österreich, dass eine Partei von 20 bis 25 Prozent die Definitionsmächtigkeit von 80 Prozent über dieses Thema hat", sagt der Soziologe und Migrations-Experte Kenan Güngör. Er sieht eine "Schizophrenie" in Österreich, "die so aussieht, dass man sagt, eigentlich brauchen wir euch, aber wir brauchen euch nicht. Das spüren sie Leute. Und daher braucht es einen gesellschaftlichen Wandel in dieser Richtung." Die ganz große Zuwanderung komme künftig aber aus der Europäischen Union, sagt Kenan Güngör. Durch die zunehmende Mobilität komme es zu einer starken EU-Binnen-Migration.