Zweiter Prozess
Vor Urteil gegen Chodorkowski
In Moskau beginnt am Montag die Urteilsverkündung im Prozess gegen Michail Chodorkowski. Dem früher reichsten Mann Russlands wird Steuerhinterziehung und Diebstahl vorgeworfen. Der eigentliche Hintergrund ist aber, dass Chodorkowski sich politisch mit dem früheren Präsidenten Waldimir Putin angelegt hat.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 27.12.2010
Rechtsstaat oder Putin-Diktat?
Der Spruch des Richters sei nicht nur ein Urteil über ihn, sondern ein Urteil für ganz Russland - das schreibt Michail Chodorkowski in einem seiner letzten Briefe. Gehe das Land in Richtung Rechtsstaat und Freiheit, oder bleibe es das Land, in dem einer Allein alles bestimmen könne - Wladimir Putin.
Nach Steuerhinterziehung nun Diebstahl
Eineinhalb Jahre dauert der zweite Prozess gegen Chodorkowski und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew bereits. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen. Auch die Verkündung des Urteils hätte eigentlich bereits vor zwei Wochen beginnen sollen. Chodorkowski wird vorgeworfen, Öl im Wert von 218 Millionen Dollar gestohlen zu haben - eine eigenartige Anklage. Denn im ersten Prozess, der im Jahr 2003 begann, wurde ihm vorgeworfen die Steuern für dieses Öl hinterzogen zu haben. Aber niemand glaubt, dass es in diesem Prozess wirklich um strafrechtliche Vorwürfe geht.
Keine Freiheit vor Präsidentenwahl
Chodorkowski, dank seinem Ölkonzern Jukos früher der reichste Mann Russlands, hatte begonnen sich in die Politik einzumischen und den damaligen Präsidenten Wladimir Putin herauszufordern. Im ersten Prozess wurde er zu acht Jahren Haft verurteilt - die gehen nächstes Jahr zu Ende. Doch 2012 stehen in Russland eine Reihe wichtiger Entscheidungen an, vor allem die Wahl eines neuen Präsidenten. Hier sehen Beobachter auch den eigentlichen Grund des neuen Prozesses: Chodorkowski soll 2012 auf keinen Fall auf freiem Fuß sein.
Für Putin schon alles klar
Wladimir Putin hat sein Urteil auf jeden Fall schon gesprochen: Bei einer Fernsehansprache vor zwei Woche hat gesagt, der Richter im Prozess sehe die Schuld Chodorkowkis bereits als bewiesen an. Die Urteilsverkündung dürfte ein bis zwei Wochen dauern.
Prozess unter internationaler Beobachtung
Die deutsche Grün-Abgeordnete Marie Luise Beck im Ö1-Morgenjournal-Interview mit
"Rechtsstaatliche Grundsätze verletzt"
Eine, die schon den ersten Prozess gegen Chodorkowski beobachtet hat und jetzt auch den zweiten verfolgt, ist die deutsche Grün-Abgeordnete Marie Luise Beck. Ihrer Ansicht nach werden in diesem Prozess ganz offensichtlich rechtsstaatliche Grundsätze verletzt. Allein schon die Anklage stehe im krassen logischen Widerspruch zum ersten Prozess. Das Urteil könne, "wenn es noch einen Funken von rechtsstaatlilcher Perspektive in diesem Land gibt, nur ein Freispruch sein", so Beck.