Keine Ausweitung der Unruhen
Tunesien-Experte: Regimes nun wachsam
Die Vorgänge in Tunesien seien ein Weckruf an die Regimes in den Nachbarstaaten der Region, sagt Hardy Ostry, Experte für Afrika und Naher Osten der Konrad-Adenauer-Stiftung. An eine Ausweitung der Unruhen glaubt er aber nicht. Und er weist Befürchtungen zurück, Islamisten könnten das Machtvakuum für ihre Zwecke ausnützen.
8. April 2017, 21:58
"Keine freie Wirtschaft ohne Freiheit der Bürger"
Hardy Ostry, Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung für Afrika und Naher Osten, im Ö1-Mittagsjournal-Gespräch am 17.1.2011 mit Wolfgang Wittmann
Politische Bewegung
Ostry will noch nicht von einem bevorstehenden Ende der autoritären Regimes von Ägypten bis Marokko sprechen. Das wäre voreilig, so Ostry im Ö1-Mittagsjournal-Gespräch. Die Vorgänge in Tunesien führt er auf eine Protestbewegung zurück, die in eine politische Bewegung übergegangen sei. Die Regimes in der Region seien jedenfalls wachsam geworden, das zeige sich an Äußerungen von Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak und Algeriens Abdel Aziz Buteflika.
Qualifiziert und arbeitslos
Die Unruhen sind nach Ansicht Ostrys nicht unbedingt Ausdruck einer Basisdemokratie. Die Jugendarbeitslosigkeit sei mit 30 bis 40 Prozent sehr hoch, darunter auch Hochqualifizierte, die aber keine Perspektive haben - ein Problem, das die Regierungen im Prinzip erkannt hätten. Auf diese jungen Eliten müssten die Länder zurückgreifen, wenn sie Entwicklung wollten.
Anführer fehlen
Charismatische Oppositionelle, die die Bewegung medienwirksam anführen könnten, sieht der Experte in Tunesien derzeit noch nicht. Es ist nach Ansicht Ostrys auch nicht eine einzige Bewegung, sondern allein in Tunesien seien es ganz viele, mit unterschiedlichen Motivationen. Anders in Algerien, dort gäbe es zwar einige charismatische Persönlichkeiten, aber die "Befreiungspartei" von Buteflika sei einfach noch zu stark und könne sich auf das Militär stützen.
Keine Islamisten-Gefahr
Einen Vormarsch der Islamisten am Mittelmeer befürchtet Ostry jedenfalls nicht. Die Islamisten seien "nicht federführend" Teil dieser Bewegung. Die Mehrheit der Tunesier sei außerdem säkular geprägt und lehne das ab. Dazu komme noch, so Ostry: "Je länger das Machtvakuum in Tunesien anhält, desto weniger wird es ein Beispiel für die Region."
Wirtschaftliche und politische Freiheit
Die grundsätzliche Lehre aus den Vorgängen in Tunesien nach Ansicht des Experten: Gerade diese Maghreb-Staaten hätten die wirtschaftliche Entwicklung vor politische Freiheit gestellt und verhältnismäßig gutes Wachstum gehabt. "Und wer wirtschaftlich frei agieren will, kann letztlich nicht politische Freiheiten auf Dauer begrenzen. Wer freie Wirtschaft will, wird am Ende nicht an der Freiheit der Bürger vorbeikommen."
Opposition soll mitregieren
Nach der Flucht des tunesischen Diktators Zine el-Abidine Ben Ali soll das nordafrikanische Land noch am Montag eine Übergangsregierung bekommen. Die der bisherigen Regierung nahestehenden Parteien sollen daran nicht beteiligt werden. Das ist das Ergebnis eines Treffens mehrerer Parteien unter Vorsitz von Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi. Neben Vertretern der drei bisherigen Oppositionsparteien sollen auch unabhängige Persönlichkeiten ins Kabinett kommen. Die kommenden Wahlen sollen von einem unabhängigen Komitee und internationalen Beobachtern kontrolliert werden. Bei den Parteien handelt es sich um Ettajdid, PDP und FDTL (Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheiten). Aus mit den Verhandlungen vertrauten Kreisen verlautete, dass die Opposition drei Ministerposten bekommen soll.
Direktbericht aus Tunis
Mittagsjournal, 17.1.2011