Chance für Pressefreiheit
Tunesien: Aufatmen beim Staats-TV
Tunesien war vor der Flucht von Präsident Ben Ali eines der weltweiten Schlusslichter bei der Pressefreiheit. Journalisten, die ungenehmigte Informationen schreiben wollten, wurden verhaftet, widerspenstige Reporter auch gefoltert. Seit Ben Ali weg ist, ist alles anders - auch beim staatlichen Fernsehen.
8. April 2017, 21:58
Reportage aus Tunis
Morgenjournal, 20.01.2011
Schwer bewacht
Das Staatsfernsehen in Tunis ist in einem weißen Betonklotz nicht weit vom Außenministerium entfernt. Zwei Panzer und etwa 20 Schwerbewaffnete Soldaten bewachen das Gebäude. Man muss sich zwei Mal ausweisen um zu einem der drei Lifte vorzudringen, die in die Redaktionen führen. Dann ist plötzlich alles anders. Die Journalisten blicken auf, der Chefredakteur stellt den unangemeldeten ausländischen Journalisten allen vor und kündigt eine Pause an, damit man mit mir sprechen kann.
Logo geändert
Es zeigen sich alle glücklich, endlich so arbeiten zu dürfen wie sie wollen. Bereits in der Nacht, in der Präsident Ben Ali geflüchtet ist, haben die Journalisten das Logo des Senders auf dem Bildschirm ausgetauscht. Statt "Tunis7", Symbol des 7. November 1987, des Tages, an dem Ben Ali an die Macht kam, steht nun ein neues rot- weißes Logo: Es lautet nur: "Nationales Fernsehen".
Zuschauer am Wort
Die 30 Journalisten der Redaktion zeigen den modernen Newsroom, auf den sie stolz sind. Wie alle Fernsehsender in Tunesien haben sie auch ihr Programm zur Gänze umgekrempelt: Es kommen seit ein paar Tagen Dissidenten zu Wort, aber auch Fernsehzuschauer. Jeder kann anrufen - wenn er durchkommt ist er auf Sendung. Er kann sagen, was er möchte.
Abhängige "Bosse"
In der Redaktion ist Fatinaf Sina jetzt für die Demonstrationen zuständig. Er meint: "Meine Kollegen und ich sind jetzt sehr glücklich. Seit 1987 konnten wir wegen der Zensur, wegen der Verfolgungen keinen professionellen Journalismus machen. Das tunesische Fernsehen war nichts anderes als das Sprachrohr der Regierung. Die Schuld daran lag nicht so sehr bei den Journalisten, die wollten ja, doch es waren die Chefs, die Bosse, die alles zensuriert haben. Es gibt dieses Zensur-Denken bei den Bossen, das war so schade. Warum? Weil sie alle dieser Diktaturpartei angehören." Er sei immer ein unabhängiger Journalist gewesen, das Problem seien seine Vorgesetzten gewesen, sagt Fatinaf Sina. "Wir haben mit den Bossen verhandelt. Entweder die Informationspolitik wird geändert oder wir nehmen das selbst in die Hand. Dann werden wir selbst eine Gruppe bestimmen, die die Leitung übernehmen wird."
Kompetenz statt Parteibuch
Neben Fatinaf sitzt die Reporterin Saida, sie rechnet damit, Probleme in der Redaktion zu bekommen: "Ich bin aktives Mitglied der Partei RCD. Alle meine Kollegen wissen es, aber ich war immer ehrlich, ich habe mich sogar mit Funktionären der Partei wegen der Pressefreiheit gestritten. Es gab immer eine Trennung zwischen meinen privaten Aktivitäten und meinem Bestreben hier für eine freie Presse." Sie hat keine wirkliche Angst für die Zukunft, weil es hier auf Kompetenz ankomme. Und sagt sie von sich: "Ich bin kompetent".
Kampf um Vertrauen
Fatinaf Sina ist bewusst, dass man nicht das gesamte Fernsehen von heute auf morgen ändern kann. "Es ist nicht einfach alles in zwei, drei Tagen zu ändern. Auch nicht in vier Wochen. Es ist sehr schwer, weil das ganze Mediensystem geändert werden muss. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir auch etwas anderes können, damit die Zuschauer uns wieder vertrauen", sagt Fatinaf Sina.
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