EU-Staaten wehren sich gegen Reformen

Streit um Wirtschaftsregierung

Bis Ende März soll in der Europäischen Union ein umfassendes Reformpaket stehen, das zur dauerhaften Stabilisierung des Euro führen soll. Aber die Widerstände in den Mitgliedsstaaten gegen die von Deutschland vorgeschlagene europäische Koordination von Steuern, Löhnen und Pensionen sind immens.

Mittagsjournal, 12.02.2011

Umfangreiche Abstimmung

Am ehrgeizigen Zeitplan wollen Deutschland und Frankreich festhalten. Deutschlands Finanzminister Schäuble hat diesen Plan gemeinsam mit seiner französischen Kollegin Lagarde erst vor Kurzem wieder bestätigt. Spätestens Ende März, beim nächsten regulären EU-Gipfel soll der von der deutschen Bundesregierung gewünschte Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit stehen, bei dem sich die Eurostaaten zur bisher weitesten wirtschaftspolitischen Koordination in der Geschichte der EU verpflichten. Auch Löhne, Steuern und Pensionen sollen nach den deutsch-französischen Plänen in Europa aufeinander abgestimmt werden.

"Surrealer Gipfel"

Aber die Präsentation des Vorhabens beim EU-Gipfel vergangene Woche schrammte offensichtlich haarscharf am Flopp vorbei. 18 oder 19 der 27 Regierungschefs haben negativ reagiert, berichtet Belgiens Regierungschef Yves Leterme, sowohl die Inhalte als auch das Vorgehen wurden kritisiert. Es sei ein richtiggehend "surrealer Gipfel" gewesen. Vor allem die in Belgien übliche Bindung der Löhne an die Inflation will sich Brüssel nicht verbieten lassen.

Vielfältige Einwände

Irische Zeitungen berichten von einem richtigen "Blutbad" zwischen dem irischen Premierminister und Frankreichs Nicolas Sarkozy, weil Sarkozy die niedrigen irischen Körperschaftssteuern ins Visier nahm, in einem Land, dass finanziell mit vielen Milliarden aufgefangen wird. Österreich wehrt sich gegen die Vorstellung, dass bei der Festsetzung des Pensionsalters auch andere mitreden sollen. Polen wiederum warnt vor einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wenn Nichteuroländer an den Rand gedrückt werden.

"Deutsch-französischer Putsch"

Der wortgewaltige Grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit spricht gar von einem deutsch-französischen Putsch. Obwohl grundsätzlich viele Länder der Idee einer Euro-Wirtschaftsregierung zur Ergänzung der gemeinsamen Währung etwas abgewinnen können, ist der Vorwurf da, dass Deutschland und Frankreich weitreichende Entscheidungen übers Knie brechen wollen. Und zwar in so kurzer Zeit, dass keine Regierung die Zeit zur Meinungsbildung in der eigenen Öffentlichkeit hätte.

Neue Geschäftsgrundlage

Ist Merkels Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit ernst gemeint und nicht nur ein politischer Luftballon, gedacht für deutsche Wahlkämpfe, dann würde sich dadurch gesamte Geschäftsgrundlage der EU verschieben. Auch jene Bereiche, für die die EU bisher keine Kompetenz besitzt, wie eben Pensionen, Steuern und Löhne, müssten aufeinander abgestimmt werden. Berlin sieht diesen Punkt als eine Bedingung dafür, dass der Eurorettungsschirm schlagkräftiger gemacht wird.

Neuer Anlauf

Die Suppe auslöffeln muss jetzt Ratspräsident Herman van Rompuy, der es übernommen hat, Ideen zu sammeln und Kompromisse zu schließen. Schon in den nächsten Tagen müssen die Vorschläge aus den Mitgliedsstaaten eintreffen. Anfang nächster Woche werden die Finanzminister eine erste Bestandsaufnahme vornehmen. Bei einem Abendessen im Brüssel am 11.März wollen die der Chefs 17 Euroländer das ungeliebte Thema von Neuem behandeln. Diesmal aber vorbereitet und auf der Grundlage schriftlicher Vorschläge. Denn viel mehr als die grundsätzliche Marschrichtung zu mehr wirtschaftspolitischer Koordination hat der letzte EU-Gipfel ganz offensichtlich nicht beschlossen. Wenn allerdings jedes Land die Bereiche wegverhandelt, die besonders weh tun, dann wird die ganze Aktion wenig Sinn haben.