Gegen Wehrdienstverkürzung
Experten: Sicherheitsdoktrin zu allgemein
Braucht Österreich die Wehrpflicht noch, oder könnte ein Berufsheer die militärischen Aufgaben der Zukunft besser bewältigen? Diese Frage ist nach Ansicht von Militärexperten auf Grundlage der jetzt vorliegenden neuen Sicherheitsdoktrin genauso gut oder schlecht zu beantworten wie vorher. Jedenfalls sind die Experten gegen eine Wehrdienstverkürzung.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 02.03.2010
Festlegungen zu allgemein
Die staatliche Souveränität absichern, kritische Infrastruktur schützen, Katastrophenhilfe für die Bevölkerung - das sind die militärischen Kernaufgaben laut Sicherheitsdoktrin 2011. Dazu kommen Evakuierungseinsätze und Auslandseinsätze auf hohem Niveau. Aber wie hoch soll dieses Niveau sein, wie oft und wie viele Personen soll das Heer evakuieren können, auf welchen Umfang an Katastrophenhilfe muss sich das Bundesheer einstellen? Das müsste in einer sinnvollen Entscheidungsgrundlage enthalten sein, bemängelt Militärexperte Gerald Karner. Aus den bestehenden allgemeinen Festlegungen lasse sich eine Präferenz für ein bestimmtes Wehrsystem nicht ableiten.
Anspruchsvollere Auslandseinsätze?
Und Karner bekräftigt die Kritik am Beispiel der Auslandseinsätze: "Will ich eine Brigade mit 3.000 bis 5.000 Mann entsenden oder auf dem derzeitigen Niveau bleiben mit 1.300 bis 1.500 Mann? Wie lange sollen die in einem Auslandseinsatz durchhaltefähig sein und welche Aufgaben sollen sie dort erfüllen: einfachere und ungefährlichere Aufgaben oder sollen sie, wie es ja die EU-Battlegroups vorsehen, auch komplexere militärische Aufgaben erfüllen wie zum Beispiel die gewaltsame Trennung von Konfliktparteien. Das alles geht mit aus dieser Sicherheitsdoktrin viel zu wenig hervor."
"Professionelle Streitkräfte nötig"
Der Militärexperte Erich Reiter sieht auch klare Widersprüche in der Doktrin, die die Neutralität wieder ausdrücklich erwähnt, gleichzeitig aber auch die nicht unumstrittene Teilnahme an EU-Kampftruppen enthält. Er bezeichnet das als "eigenartig". Für Reiter - ein klarer Befürworter eines Berufsheeres - kann die Schlussfolgerung aus der Sicherheitsdoktrin nur eine sein: Den Herausforderungen müsse man "professionell" begegnen, und daher sei das "ein Argument für ein Berufsheer, für moderne, professionelle Streitkräfte und nicht für die Beibehaltung der Wehrpflicht."
Klar gegen Wehrdienstverkürzung
Die Alternative - reformierte Wehrpflicht a la ÖVP, sprich ein noch kürzerer Grundwehrdienst - würde das Heer endgültig in den Abgrund führen, sagt Reiter. Denn "es würde fast überhaupt keine Soldaten mehr für die eigentlichen militärischen Aufgaben zur Verfügung stehen, sondern alles nur mehr Köche, Ordonanzen, Schreiber und so weiter sein."
Das sieht Gerald Karner genauso: "Faktum ist, dass Grundwehrdiener, die eine Ausbildung hätten, die noch kürzer wäre als die jetzige, fast ausschließlich nur mehr für ganz einfache Sicherungsaufgaben bzw. für Katastrophenhilfe herangezogen werden könnten." Eine weitere Verkürzung des Wehrdienstes würde einer effizienten Umsetzung der neuen Sicherheitsdoktrin im Weg stehen, so Karner. So viel könne man jetzt schon sehr seriös feststellen.
Auch Offiziere gegen Berufsheer
Nach Opposition und Militärexperten äußern sich auch Vertreter von Offizieren und Milizsoldaten kritisch zur neuen Sicherheitsstrategie, die SPÖ und ÖVP vorgelegt haben. Auf keinen Fall könne man aus diesem Papier ableiten, dass das Wehrsystem in Österreich auf ein reines Berufsheer umgestellt werden müsse, wie das der Verteidigungsminister vorhat, so die Offiziere. Eher das Gegenteil sei der Fall: das bestehende Misch-System mit Grundwehrdienern sollte gestärkt werden.
Mittagsjournal, 02.03.2011
Übersicht
- Verteidigung