Roman von Najat El Hachmi
Der letzte Patriarch
"Jo també sóc catalana" – "Auch ich bin Katalanin" hieß der vielbeachtete autobiografische Essay der Autorin Najat El Hatchmi. In ihrem Erstlingswerk setzte sich die gebürtige Marokkanerin gleich mit der fundamentalen Frage ihrer Identität als Migrantin auseinander. "Der letzte Patriarch" ist das erste Werk der Autorin, das nun auch in deutscher Sprache erschienen ist.
27. April 2017, 15:40
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Dies ist die Geschichte von Mimoun, Sohn von Driouch, Sohn von Allal, Sohn von Mohammed, Sohn von Bouziane, den wir einfach nur Mimoun nennen werden. Es ist seine Geschichte und die Geschichte des letzten der großen Patriarchen, die den langen Stammbaum der Vorfahren von Driouch bilden. Jeder Einzelne von ihnen hatte mit der Unbeirrbarkeit der großen biblischen Gestalten gelebt, gehandelt und auf das Leben aller, die ihn umgaben, Einfluss genommen. Darüber, wie man zu einem großen Patriarchen oder einem mittelmäßigen Patriarchen wird, wissen wir nicht viel. Die Ursprünge verlieren sich in den Anfängen der Zeit, und hier interessieren uns die Ursprünge nicht.
Mehrsprachig aufgewachsen
Ines Mitterer, die bei der Präsentation von Najat El Hatchmis Roman in der Hauptbücherei am Urban-Loritz Platz moderierte, interviewte, übersetzte und aus dem Buch las, bemerkt zu Beginn der Lesung ganz richtig: Katalanisch ist eine Sprache, die man hierzulande nur selten hört.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen schildert Najat El Hatchmi ihre Familientreffen: Mit ihrer Mutter spreche sie Amasik, eine Berbersprache, mit ihrem Sohn katalanisch und mit ihren Brüdern spanisch. In einem Land, wo katalanisch zu sprechen oft schon einen politischen Akt gleich kommt, entschied sich die Autorin aus ganz pragmatischen Gründen für das Catalán. Ihre literarische Sprache habe nämlich etwas ganz Anderes geprägt:
"Ich glaube, viel wichtiger, als dass ich diese Sprachen spreche, ist die Tatsache, dass ich im Kontext einer mündlichen Literatur aufgewachsen bin. Denn ich glaube, dass diese Mündlichkeit im katalanischen Text des Romans hervortritt. Natürlich, wenn man mehrere Sprachen spricht, dann verleitet das immer zum Spiel. Da kannst du Dinge vergleichen oder die Sprache neu erfinden, wenn du eine mit der anderen vermischt."
Die Geschichte des Vaters
Najat El Hachmi, die im Alter von acht Jahren von Marokko nach Spanien gekommen ist und dort später arabische Literatur studiert hat, ist eine begeisterte Anhängerin der Erzählungen von "Tausend und einer Nacht". Schließlich würde da eine Frau durch das Erzählen von Geschichten um ihr Leben kämpfen. Ein leidenschaftlicheres Manifest für die Erzählung gäbe es wohl kaum.
Die fiktive Erzählerin ihres Buches schreibt die Geschichte auf, um über die Rekonstruktion des Lebens ihres Vaters zu sich selbst zu finden. Zu dieser Erinnerung gehören auch Lücken:
"Das ist ein Spiel der Erzählerin und ganz logisch, wenn man bedenkt, dass sie die Geschichte ihres Vaters erforscht", sagt Najat El Hachmi. "Die Kinder einer Familie kennen viele Dinge nur aus Erzählungen. Manchmal erzählen Familienmitglieder sogar widersprüchliche Version ein und derselben Geschichte. Damit spielt der Text ein wenig."
Mit Katalanisch-Wörterbuch
Für die fiktive Erzählerin, die Tochter des Patriarchen, wird das Erlernen der katalanischen Sprache zum unverzichtbaren Werkzeug, um ihr Ziel zu erreichen, und so wird ein Katalanisch-Wörterbuch zum Leitfaden über viele Kapitel des Buches.
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Wir wissen nicht mit Gewissheit, wie es sich zugetragen hat, aber es ist sicher, dass dort, in der Mitte des Innenhofes, der so weich ist unter den Fußsohlen, umgeben von weißgekalkten Wänden, und zu einer Zeit, als wahrscheinlich alle dabei waren, Mittagsschlaf zu halten, "klatsch!", die erste Ohrfeige für Mimoun erschallte, der lernen musste, nicht so verzogen zu sein. Und Mimoun gab einen Schrei von sich, einen fast lautlosen Schrei. Einen, der mit einem schrillen Aufschrei beginnt, der brüsk abbricht, und dann wird die Stille zur Panik. "Was hast du getan, du Elender! Was hast du meinem Sohn nur angetan?" Doch Mimoun wurde wieder lebendig – wie hätten wir diese Geschichte sonst auch weitererzählen können?
Diese Ohrfeige, die Mimoun noch als wehrloser Säugling von seinem Vater kassiert, steht am Beginn seiner eigenen Laufbahn als cholerischer und gewalttätiger Patriarch, dem das Fremdgehen ein Heimspiel ist, der sich aber gleichzeitig absolute Züchtigkeit von seiner Frau erwartet. Die in seiner Wahnvorstellung stattgefundenen Fremdgänge seiner Frau sind für ihn das Argument, warum der Muslim seine Frau ganz offiziell mit Christinnen betrügt muss. War Mimouns Weg zum Patriarchen eigentlich vorgezeichnet, oder hätte er sich ganz anders entwickeln können? (0:34)
"Ich weiß es nicht, denn das ist eine schwierige Annahme", meint Najat El Hachmi. "Ich glaube schon, dass jeder von uns selbst bestimmt, wie unser Leben aussieht. Aber nicht jeder hat dieselben Mittel. Mimoun hatte keinen Psychoanalytiker zur Seite oder etwas, das ihm hilft, mit seinem Schicksal zurecht zu kommen.
Es ist bereits Mimoun selbst, der die Grundsteine für das Einstürzen des patriarchalen Bauwerks legt, wenn er etwa seine Tochter mit in die Arbeit nimmt. Gleichzeitig ist es die Generation seiner Kinder, die diese Revolution zu Ende führt, auch beeinflusst durch den kulturellen Wechsel im Umfeld, als die gesamte Familie von Marokko nach Spanien übersiedelt.
Neue Formen zwischenmenschlicher Beziehungen
Najat El Hachmi erntete mit ihrem Roman durchaus Kritik: Sie spiele mit den Klischees von Nordafrikanern, war zu hören. Um Vorurteile zu haben, bräuchte es ihren Roman nicht. Außerdem sei dieser keine kulturelle Studie, sondern die individuelle Geschichte der Protagonisten, verteidigt die Autorin ihr Werk. In jedem Fall ist die deutsche Fassung ihres Romans zu einem spannenden Zeitpunkt erschienen. Glaubt sie, dass die politischen Umwälzungen im arabischen Raum auch ein Ende des Patriarchats in diesen Ländern bringen?
"Ich glaube schon, aber nicht nur wegen der aktuellen Revolutionen", antwortet Najat El Hachmi. "Seit einiger Zeit schon suchen Frauen, aber auch Männer in den arabischen Ländern nach neuen Formen der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Beziehungen zum anderen Geschlecht sollen normalisiert werden. Dennoch wird es kein einfacher Weg", sagt Najat El Hachmi und verweist vor allem auf Ägypten, wo die Frauen Seite an Seite mit ihren Männern um Demokratie kämpfen.
Service
Najat El Hachmi, "Der letzte Patriarch", aus dem Katalanischen übersetzt von Isabel Müller, Wagenbach-Verlag
Wagenbach - Der letzte Patriarch