Experten: EU-rechtlich nicht zulässig

Kein Anti-Atom-Volksbegehren?

SPÖ als auch ÖVP fordern den EU-weiten Atomausstieg. Die SPÖ setzt da auf eine Europäische Bürgerinitiative, die ab April 2012 möglich sein wird. In Sachen Kernkraft sei das aber ein untaugliches Mittel, geben Rechtsexperten zu bedenken.

Morgenjournal, 03.06.2011

Frage der EU-Kompetenz

Eine Europäische Bürgerinitiative kann frühestens im April 2012 eingebracht werden, weil die Verordnung vorher nicht in Kraft sein wird. Dennoch überschlagen sich ausgerechnet die Parteien mit Ideen, wie sie dieses neue Bürgerrecht nützen könnten. SPÖ-Chef Bundeskanzler Werner Faymann will gleich zwei Bürgerinitiativen starten, gemeinsam mit den deutschen Sozialdemokraten: für den europaweiten Atomausstieg und für die Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer. Während die Steuer durchaus in die Kompetenz der Union fällt und eine Bürgerinitiative dazu sinnvoll und möglich wäre, sieht das beim Atomausstieg ganz anders aus.

Wahl der Energieträger frei

Der Politikwissenschaftler Josef Melchior von der Uni Wien weist darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon "hauptsächlich auf Versorgungssicherheit, Energieeffizienz und funktionierenden Markt abstellt und explizit die Wahl der Energieträger ausnimmt und nicht in die EU-Kompetenz gibt." Die Folge: Eine Europäische Bürgerinitiative zum Thema Atomausstieg ist nicht zielführend, ja gar nicht möglich, sagt der Innsbrucker Europarechts-Experte Walter Obwexer. Die Kommission müsste eine Initiative als unzulässig ablehnen, sollte sie auf eine Verpflichtung zum Atomausstieg hinauslaufen. Der Politologe Melchior sieht das auch so: "Die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass so etwas nicht zugelassen wird."

Mobilisierung zählt

Die Sozialdemokraten werden andere Wege finden, um auf Anti-Atom-Kurs zu gehen - etwa über die Förderung erneuerbarer Energien, das ist EU-Kompetenz. Denn die Mobilisierung zählt, nicht das Ergebnis der Bürgerinitiative. Für Josef Melchior ist jetzt schon völlig klar, "dass dieses Instrument eher von politischen Parteien instrumentalisiert wird." Die könnten solche Initiativen gerade auf transnationaler Ebene leichter organisieren.

Heikles Asyl-Volksbegehren

Das haben nicht nur die Sozialdemokraten erkannt, sondern auch die Freiheitlichen. Die wollen 2012 mit anderen Rechtsparteien wie der Front National von Marine Le Pen eine Europäische Bürgerinitiative gegen Asylmissbrauch starten. Europarechtlich kein Problem, denn das Asylwesen ist EU-Sache. Die Rechtspopulisten sollten sich nur nicht im Ton vergreifen, so Europarechtler Walter Obwexer: Denn sollten in der Formulierung der Initiative Menschenrechte verletzt werden, dann könnte die Kommission die Registrierung dieser Bürgerinitiative wegen Verletzung der Grundwerte der Union ablehnen. Sprich: Die Anti-Asyl-Initiative würde das gleiche Schicksal erleiden wie das Anti-Atom-Projekt der Sozialdemokraten.