Vermittlerrolle immer bedeutender

Türkei zwischen Ost und West

Die Appelle der türkischen Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte wurden in Syrien ignoriert. Dennoch bemüht sich die Türkei als einziges NATO-Land weiterhin den Gesprächsfaden zu Assad nicht abreißen zu lassen. In Ankara sieht man die Umbrüche in der arabischen Welt als langfristige Entwicklung, bei der die Türkei eine Schlüsselrolle habe.

Mittagsjournal, 24.06.2011

Meinung der Türkei ist gefragt

Griechenlands Regierungschef Papandreou tut es. US-Präsident Obama tut es. Israels Netanyahu tut es ebenso wie die Chefs von PLO und Hamas. Und sogar Syriens Präsident Assad tut es: Sie alle fragen die Türkei um Rat.

Jeder wolle die Meinung der Türkei hören, sagt der türkische Außenminister Davutoglu. Das gelte auch für EU und NATO.

Stolz auf aussenpolitische Rolle

Dass sich die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und die Hamas in der Türkei treffen, dass der US-Präsident mit dem türkischen Premierminister die Lage in Syrien bespricht und sogar der syrische Präsident auf die Meinung des Nachbarns Wert legt: Das alles wird in den türkischen Zeitungen mit einigem Stolz berichtet.

Auch Kritik an Aussenpolitik Erdogans

Doch es gibt auch Kritik an der Außenpolitik der Regierung Erdogan. Hat die Türkei nicht viel zu lange Libyens Staatschef Muammar Gaddafi die Stange gehalten, während man den den ägyptischen Präsidenten Mubarak schnell fallen ließ? Und wurde beim Aufstand im Nachbarland Syrien nicht viel zu lange zugewartet?´

Nein, das alles sei durchaus konsequent, meint der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, wenn man nicht Chaos erzeugen wolle, sondern Veränderungen in geordneten Bahnen.

"Auf Chance für friedlichen Übergang gewartet"

Im Fall Ägyptens habe die Türkei Präsident Mubarak erst dann zum Rücktritt aufgefordert, als klar war, dass sich die Armee gegen ihn gestellt hat erklärt Außenminister Davutoglu.

Zu diesem Zeitpunkt war auch klar, dass die Proteste im ganzen Land verbreitet sind und quer durch alle religiösen und weltanschaulichen Lager, meint Davutoglu.

"Erst dann haben wir die Chance für einen friedlichen Übergang gesehen,“ sagt Davutoglu.

Türkei hofft auf Vorbildwirkung Ägyptens

Das Interview mit dem Fernsehsender "al-Jazeera" war vor den türkischen Wahlen aufgenommen worden. Aber die Position des türkischen Außenministers und seines Regierungschefs hat sich seither kaum verändert.

Auch wenn der syrische Präsident die türkischen Warnungen zu ignorieren scheint, und der Aufmarsch syrischer Truppen im Grenzgebiet als Provokation verstanden wird, einen Machtwechsel in Damaskus von außen zu erzwingen oder auch nur zu beschleunigen, dazu sieht Davutoglu keine Möglichkeit.

Die türkische Regierung setzt auf Zeit und auf positive Beispiele aus der Nachbarschaft: "Wir wollen, dass die Veränderungen in Ägypten ein Erfolg werden. Wenn das so ist, dann wird Ägypten ein gutes Beispiel für andere Länder sein", so Devatoglu.

Geographische Lage sei Vorteil der Türkei

Und doch muss die türkische Regierung sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, sie versuche es allen Seiten Recht zu machen. Muss sich die Türkei sich nicht irgendwann zwischen Westen oder zur asiatischen Welt entscheiden?

„Man kann alles Mögliche verändern, nur zwei Dinge nicht: Die geographische Lage und die Geschichte eines Landes. Unsere Lage zwingt uns eine eigene Position einzunehmen. Wer kennt Syrien besser als wir? Und wer kann deshalb positiv zu den Veränderungen dort oder im Irak beitragen als wir?“, ist der türkische Außenminister überzeugt.

An der türkischen Mitgliedschaft in der NATO und an ihren Bemühungen um den Beitritt zur EU hält die türkische Regierung weiter fest. Gerade unsere Nähe zu den Nachbarländern sei dort ihre stärkste Trumpfkarte, sagt Davutoglu.