Sparpaket zeigt Auswirkungen
GB: Einschnitte im Gesundheitswesen
Die britische Gesundheitsdienst NHS, eine der stolzesten Errungenschaften des Sozialstaates, verschlingt jährlich umgerechnet mehr als 110 Milliarden Euro Steuergeld. Das ist mehr, als sich die Regierung leisten kann. Das harte Sparpaket von Premierminister David Cameron zeigt jetzt auch konkrete Auswirkungen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 29.7.2011
Bettina Madlener aus London
Behandlungen eingeschränkt
Viele Spitäler in England schrauben die Zahl der Operationen drastisch zurück. Es sollen nur noch dringende Fälle sofort behandelt werden. Für alle anderen Patienten heißt es warten und oft auch leiden. Ärzte warnen, diese Entwicklung könnte die NHS am Ende noch teurer zu stehen kommen.
Der britische Gesundheitsdienst muss allein in England in den nächsten vier Jahren umgerechnet 23 Mrd. Euro einsparen. Das sollte laut Regierung durch Bürokratieabbau und Effizienzsteigerungen erreicht werden. Aber nach Ansicht der Spitäler wird das nicht ausreichen, sie schränken nun Behandlungen für nicht lebensbedrohliche Erkrankungen ein.
Warten auf Operationen
Kindern sollen etwa nur noch nach sieben durchgestandenen Entzündungen die Mandeln entfernt werden, übergewichtige Patienten werden nur operiert, wenn sie vorher abgenommen haben. Der sogenannte Graue Star wird nur noch operativ bekämpft, wenn die Patienten so schlecht sehen, dass ihre Arbeitsfähigkeit massiv beeinträchtigt ist, und wer auf ein neues Hüft- oder Kniegelenk wartet, kommt erst dran, wenn die Schmerzen zu stark werden. Patienten in England haben gesetzlich das Recht, in spätestens 18 Wochen behandelt zu werden.
"Nur die schweren Fälle"
Aber die Uhr beginnt erst zu ticken, wenn Hausärzte eine Überweisung ins Spital veranlassen. Sie seien aufgerufen, diesen Schritt hinauszuzögern, sagt Peter Kay von der britischen Orthopädenvereinigung: "Den Hausärzten wurde gesagt, sie sollen weniger Patienten überweisen beziehungsweise die Überweisung erst zum Ende des alten Finanzjahres machen. Zudem sollen sie die Patienten genauer untersuchen, damit nur die schweren Fälle drankommen."
Ökonom: "Nicht der beste Weg"
Weniger Patienten zu behandeln sei langfristig nicht der beste Weg um Kosten zu senken, sagt der unabhängige Gesundheitsökonom John Appleby:
"Wenn man die verbesserte Lebensqualität, größere Mobilität, weniger Schmerzen nach so einer Operation mit den Kosten vergleicht, ist das ein gutes Preis-Leistungsverhältnis."
Ärzte warnen vor noch höheren Kosten
Der britische Gesundheitsminister Andrew Lansley ist überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine große Reform ist. Er will den Gesundheitsdienst optimieren und die medizinischen Behandlungen so effektiv wie möglich einsetzen.
"Wir müssen uns auf Ergebnisse konzentrieren. Wir dürfen nicht in die Vergangenheit zurückkehren, wo Patienten nach vier Stunden aus der Notaufnahme kamen und starben, weil sie vor der Verlegung oder Entlassung nicht richtig behandelt wurden." Wenn Großbritannien an der Reform seines Gesundheitssystems weiter so herumdoktert, werden die Kosten am Ende für die Öffentlichkeit noch größer sein, warnen besorgte Ärzte.