"Alptraum der Strategen"
Angst vor Machtvakuum in Nordkorea
Die USA reagieren zurückhaltend auf den Tod des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-il. Man respektiere die Trauerphase und hoffe auf eine Besserung der Beziehungen, heißt aus dem Weißen Haus. Diese mehr oder weniger neutrale Erklärung kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr die USA ein Machtvakuum in Nordkorea fürchten.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.12.2011
Alptraum für US-Strategen
Die Nachricht vom Tod des nordkoreanischen Staatschefs erreicht das Weiße Haus erst nach mehr als 48 Stunden - über das nordkoreanische Staatsfernsehen. Bezeichnend dafür, wie spärlich die US-Geheimdienst-Informationen über das hermetisch abgeriegelte Land sind. Für CIA-Strategen ist es ein Alptraum: Nordkorea, ohnehin bereits jetzt unberechenbar und mit Atomwaffen ausgestattet, könnte vor einem Machtkampf und dem politischen Zusammenbruch stehen. Der ehemalige US UNO Botschafter Bill Richardson: "Wird die nordkoreanische Führung stabil sein? Wird es Bereitschaft zu Verhandlungen über Lebensmittelhilfe und Atomwaffen geben? Kann der jüngste Sohn wirklich die Macht übernehmen, mit der vollen Unterstützung der nord-koreanischen Militärkommandanten?" Das außenpolitische Hauptinteresse der USA gilt daher derzeit in erster Linie einem stabilen und friedlichen Machtwechsel in Nordkorea, wie Außenministerin Hillary Clinton nach einem Gespräch mit ihrem japanischen Amtskollegen betont.
Nachfolger nicht einzuschätzen
Es ist vor allem der Nachfolger von Kim Jung-il, der US-Experten Kopfzerbrechen bereitet - Kim Jung-on, der jüngste Sohn des geliebten nordkoreanischen Führers, der von den staatlichen Medien in Nordkorea bereits als großer Nachfolger tituliert wird. Jim Walsh, Professor für internationale Sicherheit am Massachussets Institute of Technology (MIT): "Nach dem Tod von Kim Il Sung in den 90er Jahren hat Kim Jong-il die Macht übernehmen können, aber er hat ein bis zwei Jahre gebraucht, die Armee an seine Seite zu bringen. Was ist die Rolle der Armee heute? Gibt es andere Palast-Intrigen, andere machthungrige Verwandte? Ich weiß es nicht, die meisten Analysten sagen, dass der Machtwechsel störungsfrei verlaufen wird. Aber sicher nicht von einem Tag auf den anderen, es könnte unvorhergesehene Ereignisse geben, die die Lage wieder ändern."
Etwa, dass Kim Jung on eine Krise provozieren könnte, um sich von anderen Führungsfiguren abzugrenzen oder um die Unterstützung der Armee sicherzustellen. Im Weißen Haus setzt man derzeit auf Abwarten. Es sei zu früh, den neuen Machthaber zu beurteilen, so der Sprecher des Weißen Hauses Jay Carney. Jetzt müsse man zunächst die nationale Trauer Nordkoreas respektieren. Man werde die neue nordkoreanische Führung auch in Zukunft an ihren Taten messen - vor allem in Bezug auf nukleare Abrüstung, so Carney weiter.
Zu früh gestorben
Die sechs Parteiengespräche zur atomaren Abrüstung zwischen Nordkorea und Südkorea, Japan, Russland, China sowie den USA liegen seit mehr als drei Jahren auf Eis. Ausgerechnet in dieser Woche hätte im US-Außenministerium über die Wiederaufnahme von Hilfslieferungen für die hungernde nordkoreanische Bevölkerung entschieden werden sollen - im Hinblick auf eine mögliche Neuaufnahme der Abrüstungsgespräche. Der Sicherheitsexperte Jim Walsh ist in den vergangene Monaten im Rahmen inoffizieller US-Kontakte mit nordkoreanischen Delegationen zusammengetroffen: "Ich glaube, dass Kim Jong-il grundsätzlich zu einem besseren Verhältnis mit den USA bereit gewesen wäre - als Vermächtnis an das nordkoreanischen Volk. Unglücklicherweise haben die USA eine Politik der Geduld verfolgt. Wir wollten abwarten was passiert, jetzt ist die Zeit abgelaufen und Kim Jung-il ist tot." Der geliebte Führer hätte sich keinen ungünstigeren Todeszeitpunkt aussuchen können.