Ivan Fischer zum Rechtsruck seiner Heimat
Ungarn muss "geistig gesund" werden
Demokratiedefizite und wachsender Nationalismus - die Politik von Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat mittlerweile auch die Kritik der EU herausgefordert. Zahlreiche ungarische Künstler haben ihrem Heimatland inzwischen den Rücken gekehrt. Der Dirigent Ivan Fischer geht einen anderen Weg: Er fordert Strenge und Einsicht, auch von Westeuropa.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 02.02.2012
Für die Situation seines Landes findet Ivan Fischer einen sehr menschlichen Vergleich: Hätte er eine 16-jährige Tochter, die in den falschen Burschen verliebt wäre... "man muss Ungarn mit Liebe zum richtigen Weg zurückführen", so Fischer, aber auch mit Strenge, und es müsse klar sein, dass Werte nicht verhandelbar seien: "Demokratie ist absolut Nummer 1." Als zweiten Schritt müsste man sich fragen, wie man Ungarn hilft, wieder "geistig gesund" zu werden.
Orchester nicht im Stich lassen
Eine Wurzel des Nationalismus ortet Fischer in der jahrhundertelangen Unterdrückung Ungarns durch Türken, Russen und die Habsburger, eine weitere in einer grundsätzlichen osteuropäischen Haltung, sich den östlichen Nachbarn überlegen zu fühlen, in Ungarn besonders den Sinti und Roma.
Welche Rolle sieht Fischer in diesem Zusammenhang für die Künstler? Es sei sehr wichtig, was die Künstler sagen, meint Fischer, wie damals Thomas Mann oder Furtwängler. Zu bleiben, dafür hat sich Ivan Fischer entschieden, er will sein Orchester, das Budapest Festival Orchester, nicht im Stich lassen. Und er spürt die Begeisterung für klassische Musik, das Publikum habe sich in den letzten zehn bis 15 Jahren verdreifacht. Das Herz dieses Publikums schlage für Europa, so Fischer, doch viele Ungarn fühlen sich von der EU missbraucht, denn zu Anfang "hat Westeuropa diese neuen Länder als Markt gesehen und nicht als Partner", sagt Fischer.
Die ungarische Landwirtschaft konnte sich zum Beispiel mit ihren Produkten nicht gegen die Franzosen durchsetzen, Hilfsgelder der EU sind aber nicht bis zu den Bauern durchgekommen. Dadurch denken viele Ungarn, "Europa hat uns nicht geholfen, sondern ausgenützt." Dieses Gefühl der Unterlegenheit glaube man heute in Ungarn durch Nationalstolz wettmachen zu können.
Textfassung: Ruth Halle