Zehntausende lernen Wahlbeobachtung
Massenbewegung gegen Wahlbetrug
Dass die russische Präsidentenwahl am Sonntag nicht völlig frei und fair ablaufen wird, ist jetzt schon klar. Sogar Premier Putin warnt vor Wahlbetrug - allerdings von der Opposition. Um das zu verhindern, haben sich in den letzten Wochen zehntausende junge Russen als Wahlbeobachter ausbilden lassen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 1.3.2012
Aus Moskau berichtet Markus Müller
Großer Andrang
Für die meisten die erste Berührung mit der Politik: Im Wahlkampfstab des Präsidentschafts-Kandidaten Michail Prochorow haben sich etwa 100 Menschen versammelt und arbeiten sich durch dicke Papierstapel zu den Fragen: "Was sind meine Rechte, wie laufen Wahlfälschungen ab, wie kann ich sie verhindern." Sie alle wollen am Sonntag als unabhängige Wahlbeobachter arbeiten und dafür sorgen, dass das offizielle Endergebnis auch wirklich dem entspricht, wie die Russen gewählt haben.
Verteidigung im Wahllokal
"Am wichtigsten ist es, zwischen acht und neun Uhr abends aufzupassen, damit die Urnen nicht in irgendwelche Dunklen Kammern gebracht und die Ergebnisse umgeschrieben werden", erzählt der Unternehmer Andreij der schon bei der letzten Wahl im Einsatz war. Die meisten anderen hier sind Neulinge: "Bisher habe ich mich ehrlich gesagt nicht für Politik interessiert, aber im Dezember habe ich das erste Mal gewählt, und ich mag es gar nicht wenn meine Stimme nicht ernst genommen wird." - "Die letzten Wahlen waren nicht frei und fair. Wenn wir eine neue moderne Führung wollen, müssen wir die Ehrlichkeit der Wahlen in jedem einzelnen Wahllokal verteidigen", meinen die Studenten Sonja und Alexei.
Zehntausende lassen sich ausbilden
Es ist eine Massenbewegung, eine ganze Reihe verschiedener NGOs bietet Schulungen an, das Gleiche tun außerdem die Kandidaten der Opposition. Zehntausende Menschen im ganzen Land lassen sich ausbilden, die meisten davon junge Leute, die die Sowjetunion nicht mehr miterlebt haben, die in der völlig apolitischen Putin-Zeit aufgewachsen sind und sich jetzt wünschen, in einem ganz normalen demokratischen Land zu leben. "Die massiven und dreisten Fälschungen bei der Parlamentswahl im Dezember waren, die beste Werbung", sagt die Seminarleiterin Xenia Selenzova. "Früher haben die Leute nicht geglaubt, dass von ihrem Willen irgendetwas abhängt. Aber jetzt haben viele verstanden, dass sie den Prozess zumindest beeinflussen können. Und die Russen ertragen es einfach nicht, dass ihnen jemand in die Augen schaut und sie dann betrügt. Deshalb kommen sie in die Seminare und bringen auch gleich ihre Freunde und Verwandten mit."
"Russland muss sich ändern"
Bei diesem Seminar dabei ist auch Leonid Parfjonow, prominenter Fernsehmoderator und als Mitbegründer der Bewegung "Liga der Wähler" einer der Anführer der Protestbewegung. "Schlechter als zuletzt kann es nicht werden, aber diese Bewegung hat noch einen anderen Sinn: Wir verändern uns durch diese Arbeit. Wir selber werden zu jemand anderem, sogar wenn es uns nicht gelingt, Fälschungen zu verhindern." Wie es nach den Wahlen weitergehe könne niemand vorhersagen, sagt Parfjonow. Russland müsse sich ändern. Und wenn die Führung diesem Wunsch der Bevölkerung nicht nachkomme sei es klar, dass die Protestbewegung auch nach dem Wahltag weitergehen wird.