Kindesabnahmen nehmen zu

Die Zahl der Kinder, die in Heimen oder bei Pflegeeltern leben, ist in Österreich in den vergangenen zehn Jahren ständig angestiegen. Ende vergangenen Jahres waren es bereits 11.350. Kinderanwältinnen, Familienrichter und Sozialarbeiter fordern nun einen Reformschub, um das Leben dieser arg benachteiligten Kinder zu verbessern.

Morgenjournal, 22.11.2012

In Österreich ist die Zahl der Kinder, die in Heimen oder bei Pflegeeltern leben in den vergangenen 10 Jahren unaufhörlich angestiegen. Die aktuellsten Zahlen stammen von Ende 2011, da waren 11.350 Kinder von der Jugendwohlfahrt in Wohngemeinschaften, Heimen und bei Pflegeeltern untergebracht. Kinderanwältinnen, Familienrichter und Sozialarbeiter fordern nun einen Reformschub für diese vom Leben benachteiligten Kinder. 320 Experten treffen sich ab heute bei einer Tagung in Salzburg, um Wege zu finden, wie man traumatisierten Heimkindern ein bestmögliches Leben bieten kann.

Vertrauenspersonen gefordert

Die Berichte von ehemaligen Heimkindern über physische, psychische und sexuelle Gewalt in vergangenen Jahrzehnten, haben schon vor zwei Jahren ein Nachdenken in bundesweiten Arbeitsgruppen bewirkt. Aber umgesetzt wurde nicht viel seither von den Ergebnissen für Kinder in Heimen und Wohngemeinschaften, kritisiert die Tagungsorganisatorin, die Kinderanwältin des Landes Salzburg Andrea Holz-Dahrenstädt und warnt: „Ich möchte nicht dass wir in 30 Jahren sagen, wir haben 2012 etwas verabsäumt, weil wir zu wenig hingeschaut haben. Und ich selbst hab auch aktuell Fälle, die kinderrechtlich nicht ok sind, auch wenn sie sich unterscheiden von den damals massiven Kinderrechtsverletzungen.“

Die Hauptforderung: Es müsse für Heimkinder unabhängige Vertrauenspersonen geben, die weder der Jugendwohlfahrt angehören noch dem Heimträger, Vertrauenspersonen, denen die Kinder von Problemen in der Einrichtung erzählen können. Neu ist die Forderung nicht, aber teilweise umgesetzt wurde sie bisher nur in Wien, sagt Holz-Dahrenstädt.

Schock für Kinder

Der Titel der Tagung hier in Salzburg lautet „Herausgerissen“ und soll deutlich machen, wie schwer die Situation der oft mehrfach traumatisierten Heimkinder ist. „Selbst wenn sie aus Vernunftgründen mitgehen und gar nicht unter Anwendung körperlicher Gewalt, ist es ein Schock, eine völlig andere Lebenssituation in die sie hineingeworfen werden". „Eigentlich ist eine Fremdunterbringung so ein massiver Eingriff, dass er möglichst verhindert werden sollte. Man sollte alles daran setzen, dass die Erziehungsfähigkeit der Eltern so früh wie möglich gefördert wird. Und diese frühen Hilfen filtern diese Eltern so früh wie möglich heraus, schon ab dem Zeitpunkt der Geburt.“

Mangel an Prävention

Aber Österreich hinke etwa im Vergleich mit Deutschland hinterher - bei der Prävention und bei den sogenannten frühen Hilfen, die schon gleich nach der Geburt von Kindern ansetzen. Für ausreichende Prävention fehlen laut Holz-Dahrenstädt mindestens 600 Planstellen in der Jugendwohlfahrt. „Derzeit ist es so: Die Jugendwohlfahrt ist eher Feuerwehr – aber im Vorfeld Beziehungsarbeit das fehlt und wir haben so ein Töpfedenken, das ist der Bund, die Länder die Ressorts und Hauptsache es kostet nichts aus meinem Bereich sondern da sind die anderen zuständig.“

Prävention und frühe Hilfen gebe es bisher nur als Stückwerk: „Es gibt so einzelne gute Ansätze aber wir sind weit weg von diesem flächendeckenden Standardisierten. Ich glaube wir würden uns nämlich wahnsinnig viel Geld sparen.“ Denn ein Platz in einem Heim oder einer Wohngemeinschaft kostet den Staat monatlich meist zwischen 4000 und 5000 Euro. Gut investiertes Geld, wenn die Heimunterbringung unvermeidlich ist, meint Holz-Dahrenstädte - aber nur dann.