Die Kondratjew-Wellen und ihre Innovationen

In den 1920er Jahren hat der sowjetische Ökonom Nikolai Kondratjew herausgefunden, dass es langphasige Wirtschaftszyklen von 40 bis 60 Jahren gibt, die sich in eine Auf- und Abschwungsphase teilen. In den 1920er und 1930er Jahren wurden diese Ideen mit großem Interesse aufgenommen.

Jospeh Schumpeters 1939 veröffentlichtes Buch über Business Cycles (Wirtschaftszyklen) verankerte die Innovation als Thema in den Wirtschaftswissenschaften. Schumpeter zufolge verläuft die Wirtschaftsentwicklung nicht linear sondern in wellenförmigen Schwingungen, in abwechselnden Phasen von wachsendem Wohlstand und anhaltender Rezessionen. Diese folgen zeitlich den "Langen Wellen" oder Kondratjew-Zyklen.

In der Phase des Wirtschaftswachstums nach dem zweiten Weltkrieg wurde es um die langen Wellen still. In den krisenhaften 1970er Jahren wurden die Kondratjew-Zyklen aber wieder zum Thema. Die evolutionäre Wirtschaftstheorie Schumpeters wurde eine der Quellen für die sogenannte Innovationsschule in den Wirtschaftswissenschaften. Es handelt sich dabei um Forschungsarbeiten von Chris Freeman in Zusammenarbeit mit anderen wie Luc Soete, Francisco Louca und Carlota Perez. Mit dem Buch Die Ökonomie der industriellen Innovation+ (1997 in Engl.) gelang es, den Zusammenhang zwischen Kondratjew-Wellen und techno-ökonomischen Paradigmen aufzuzeigen.

Techno-ökonomische Paradigmen weisen unterschiedliche Phasen von jeweils ca. 25 Jahren Aufstieg und 25 Jahren Reife und Niedergang auf. Die Ursache dieser Wellen seien Cluster an Innovationen, meist paarweise auftretende Leittechnologien, die wiederum mit bestimmten Organisationsweisen in Verbindung stehen. Die 250 Jahre seit Beginn der industriellen Revolution lassen sich in fünf Kondratjew-Wellen untergliedern, wobei wir uns nun im Informationszeitalter, der fünften und vorläufig letzten K-Welle, befinden.

Ein genaueres, aber stark stilisiertes Modell dieser techno-ökonomischen Paradigmen hat Carlota Perez++ entwickelt. Sie unterteilt die lange Welle in vier Phasen, die in der Mitte durch eine institutionelle Krise getrennt werden. Nach einer Pionierphase und dem ersten Boom kommt es zu einer institutionellen Krise, die gelöst werden muss, bevor ein Paradigma seine Reifephase erreichen kann.

Ein Paradigma besteht nicht nur aus Technologie, sondern auch aus gemeinsamen Vorstellungen darüber, was 'best practice' darstellt. Perez argumentiert, dass ein Paradigma sich erst sozial durchsetzen muss, und das bräuchte üblicherweise eine Generation, bis die neuen Formen des Handelns und Kooperierens gelernt werden.

Wenn sich ein Paradigma entfaltet hat, ist der Anfangsvorteil im Wettbewerb vorbei, denn alle können nun diese Taktiken imitieren. Während sich das Paradigma entfaltet, verliert es bereits an Dynamik, und so kann wiederum Neues entstehen. Während der Blütephase zeigen sich bereits die Avantgarden des nächsten Paradigmas.

In den 1970er Jahren regierte zwar weiterhin das techno-ökonomische Paradigma der industriellen Massenproduktion und der billigen Energie durch Öl und Atomkraft, aber die Informationsgesellschaft lag bereits in den Startlöchern, mit dem Bau des ersten Mikroprozessors zu Beginn und der ersten PCs am Ende der Dekade. Nun, angekommen in der Informationsgesellschaft, ist auch die Leitindustrie des vorherigen Paradigmas - die Autoindustrie - nach informationsgesellschaftlichen Kriterien umgebaut worden.

Wo aber genau sind wir jetzt in dieser Kurve? Das ist die Frage, die sich aufdrängt. Es ist vielen klar, dass es eine Art ökologische Wende geben muss, hin zu nachhaltigeren Formen des Wirtschaftens. Aber wie sich jetzt schon zeigt, ist der Neoliberalismus nicht sehr gut darin, die großen Probleme unserer Zeit anzugehen. Deshalb ist zu hoffen, dass der nächste Paradigmenwechsel auch neue Methoden betrifft, nicht nur Produkte. Vielleicht besteht der eigentliche Paradigmenwechsel in Dingen wie etwa Open Innovation selbst: die eigentliche Innovation ist, dass sie in Zukunft von allen vorangetrieben wird. Nicht im Sinne eines schumpeterschen Wettbewerbstaats sondern im Sinne einer Ökonomie, die verstärkt auf Modelle des Teilens und gemeinsamen Benutzens von Gütern setzt.

Armin Medosch, Autor und Medienwissenschaftler