75 Jahre "Anschluss": Ein Zeitzeuge erinnert sich

Vor 75 Jahren, am 12. März 1938, begann der so genannte "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich. Was folgte, ist hinreichend bekannt und wird von Historikern permanent aufgearbeitet. Die Zeitzeugen dieser Geschehnisse werden dagegen immer weniger. Einer von ihnen ist der österreichische Militärhistoriker Johann Christoph Allmayer-Beck, der spätere langjährige Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien.

Mittagsjournal, 12.3.2013

Hörte Schuschniggs Rede im Radio

Johann Christoph Allmayer-Beck ist im März 1938 zwanzig Jahre alt und als Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres in der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt stationiert. Dort hört der dem Ständestaat treu ergebene junge Mann am Abend des 11. März fassungslos die Rede von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg im Radio, in der er nicht nur seinen von den Nazis erzwungenen Rücktritt verkündet, sondern auch anordnet, den einmarschierenden deutschen Truppen keinen militärischen Widerstand zu leisten.

Allmayer-Beck erinnert sich noch heute, im 95. Lebensjahr an die Reaktion eines seiner Kameraden: "Der schmeißt sein Gewehr auf sein Bett und sagt 'Das ist doch zum Teufel holen, dass man sein Vaterland nicht verteidigen darf'. Ich hab mir gedacht, das ist wohl richtig, aber auch wenn wir ihn (die Deutschen, Anm.) erschießen – soll das sein?"

Verdächtig, weil aus katholischem Elternhaus

So dachten viele und Allmayer-Beck schätzt die Situation nachträglich als Historiker ein. Er ist überzeugt, dass die Armee auf Befehl geschossen hätte: "Sicherlich, weil wir einfach erzogen waren, Befehle zu befolgen." Er sei sicher, sagt er, dass man sich aber nach drei, vier Tagen nach dem Sinn gefragt hätte, weil die Deutschen sie über den Haufen gerannt hätten, "bei der Ausrüstung … die auch nicht gut war, aber besser war als unsere."

Johann Christoph Allmayer-Beck gilt der neuen Obrigkeit als verdächtig, weil er aus einem katholisch-konservativen Elternhaus kommt und keinerlei ideologische Nähe zum Nationalsozialismus hat. Denn Eid auf Hitler legt er trotzdem ab, weil er "mit Leib und Seele Offizier" war. Auf die Frage, ob jemand dagegen sei, habe er aber gedacht: "Ja, natürlich, bin ich schon."

"Mitgehangen, mitgefangen"

So entstand in dem Offizier, der dann auch mit der Wehrmacht in den Krieg zog, wie in vielen anderen, eine Mischung aus Abneigung, Unsicherheit, Mitläufertum und Angst davor, selbst verfolgt zu werden. 1945, am Ende des Kriegs und des NS-Regimes, war die Gemengelage der Gefühle nicht viel besser: "Ich sagte mir, ich hab mit denen gefochten - mitgehangen, mitgefangen. Ich lag auf der falschen Seite, da gibt es keinen Zweifel."

Aus dem jungen Mann wurde später einer der bedeutendsten Militärhistoriker Österreichs und Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums. Seine Lebensgeschichte bildet sich also in der Erinnerung an seine damaligen Gefühle und in seither erworbenem fachlichen Wissen ab.