Raubkunst: Komplizierte Rechtslage
Noch lange nicht am Ende sind die Ermittlungen in Bayern im Zusammenhang mit dem bisher größten Fund von Nazi-Raubkunst. Ein Gesetz aus dem Jahr 1938 erschwert 75 Jahre danach die Rückgabe von Gemälden, die die Nazis als entartete Kunst eingestuft und aus öffentlichen Galerien beschlagnahmt hatten - zumindest in Deutschland.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 6.11.2013
Gesetz von 1938
Der spektakuläre Kunstfund in München wirft viele Fragen auf: So hieß es etwa in der gestrigen Pressekonferenz in Augsburg, dass "1938 von den Nazis beschlagnahmte Kunstwerke nicht rückgabepflichtig" seien. Diese Aussage bezieht sich auf ein deutsches Gesetz aus dem Jahr 1938 und auf die Radbruch'sche Formel aus der Nachkriegszeit, die besagt: "Was gestern Recht war, kann heute nicht Unrecht sein".
Weder die Alliierten noch die junge Bundesrepublik hoben das "Gesetz zur Einziehung von entarteter Kunst" auf, das im Sommer 1938 beschlossen worden war. Es regelte die Entfernung "entarteter Kunst" aus öffentlichen oder halbstaatlichen Sammlungen. Die Entziehung konnte also durchaus auch arische Sammler treffen, sagt Uwe Hartmann Leiter der Arbeitsstelle Provenienzrechte in Berlin: "Es ist wirklich so, dass diese moderne Kunst, die den Nazi-Führern, Hitler voran, nicht gefiel, nicht ins Konzept passte. Die sollte verschwinden aus den deutschen Museen."
Das heutige Österreich war von diesem Gesetz allerdings schon beim Anschluss ausdrücklich ausgenommen. Aus deutschen Museen entzogene Werke von Kokoschka, Max Liebermann oder Marc Chagall wurden vom Naziregime zu Geld gemacht.
Die Frage ist also, ob die Nazis der Familie Gurlitt die Kunstwerke verkauft oder nur in Kommission gegeben haben. In ersterem Fall wäre Gurlitt heute der rechtmäßige Eigentümer, in zweiterem wäre das noch immer der deutsche Staat und die Bilder würden in die Museen zurückwandern.
Liste vs. Verbot
Ein ganz anderer Fall ist die Abpressung von Kunstwerken von jüdischen Privatpersonen - auch da gibt es nationale Unterschiede: Während in Deutschland schon ab 1919 eine exklusive Liste zum Schutz von wertvollem Kulturgut existierte, gab es in Österreich ein sehr weitreichendes Ausfuhrverbot für Kunstwerke. Diese deutsche Liste, die nur ein paar Kodices und Handschriften umfasste, ist auch der Grund dafür, warum in Deutschland weit weniger restituiert wurde als in Österreich. Uwe Hartmann ist selbst erstaunt, warum so wenige hochkarätige Werke Eingang in diese Liste fanden: "Das waren nicht so viele Werke aus jüdischem Besitz, die 1938 oder zuvor schon auf der Reichsliste standen. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ein erstaunlich großer Teil an Malerei des 19. Jahrhunderts, grade die Münchner Schule oder die Düsseldorfer Schule, sehr verbreitet war im bürgerlichen Kunstbesitz der jüdischen Sammler, und das war damals nicht so hoch geschätzt, dass es national bedeutsam eingeschätzt wurde."
Gesetz in Österreich
Während es auch in Deutschland eine Selbstverpflichtung des Staates gibt, solche Werke zurückzuerstatten, gibt es in Österreich das Kunstrückgabegesetz. Clemens Jabloner, Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes und Vorsitzender des Kunstrückgabebeirates: "Österreich erfüllt das Washingtoner Übereinkommen in einer sehr vorbildlichen Weise. Ich weiß, dass ein vergleichbares Instrument in Deutschland nicht besteht, insbesondere dass dort die Rückgabe aus öffentlichen Sammlungen auf große Schwierigkeiten stößt." Es bleibt sicher spannend zu verfolgen, wie der deutsche Staat mit diesem aufsehenerregenden Fall umgeht.
Programmtipp
Um diesen bisher größten Fund von Raubkunst geht es heute Abend auch in der Journal Panorama Mittwochsrunde. Wem gehörten die Bilder ursprünglich, werden sie zurückgegeben, welche Spuren führen nach Österreich? Fragen, die Kristina Pfoser mit ihren Gästen ebenso diskutiert wie die Turbulenzen im Wiener Leopold-Museum und die Ansprüche auf den Beethoven-Fries in der Wiener Secession.
Mit dabei Eva Blimlinger von der Kommission für Provenienzforschung, der Restitutionsanwalt Alfred Noll und der Kunstexperte des Deutschlandfunks, Stefan Koldehoff.