Ukraine: Massenproteste gegen Anti-EU-Kurs

Zehntausende Ukrainer haben in Kiew für eine Annäherung ihres Landes an die EU demonstriert. Damit richten sie sich gegen den Kurs der Regierung, die die Verhandlungen über ein geplantes Partnerschaftsabkommen mit der EU vergangene Woche überraschend gestoppt hat.

Morgenjournal, 25.11.2013

Großdemonstration mit ukrainischer Flagge

(c) Dolzhenko, EPA

Die ukrainische Hauptstadt Kiew hat gestern die größte Demonstration seit der Orangen Revolution vor neun Jahren erlebt. Viele Zehntausend, nach Angaben der Veranstalter mehr als 100.000 Menschen haben für eine Fortsetzung der EU-Annäherung des Landes demonstriert. Die hat die Regierung am Donnerstag überraschend auf Eis gelegt - die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit Brüssel wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, stattdessen will die ukrainische Regierung die Beziehungen zu Russland verbessern.

Auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum von Kiew stehen wieder einmal Zelte, einige der Demonstranten von gestern sind entschlossen, ihren Protest fortzusetzen bis die Regierung nachgibt. Eine ältere Frau zeigt sich kämpferisch:

Es wird eine zweite Revolution geben, wir haben ja eine erste Revolution gehabt, die orange, die war friedlich. Aber diese Banditen, die jetzt regieren, geben ihre Macht nicht so einfach ab. Da wird noch viel Blut vergossen werden.

Vorerst ist der Protest allerdings im Großen und Ganzen friedlich. Kilometerlang durch die ganze Kiewer Innenstadt hatte sich gestern die Kolonne der Demonstranten gestern gezogen. Zehntausende, nach Angaben der Veranstalter mehr als Hunderttausend waren gekommen, junge Menschen, Familien mit Kindern, und auch viele Pensionisten. Nur an einer Stelle gab es Zusammenstöße mit der Polizei – einige der Demonstranten versuchten, Absperrungen zu durchbrechen und zu Regierungsgebäuden vorzudringen, sie warfen eine Rauchbombe, die Polizei antwortete mit Tränengas.

Von der schieren Masse der Demonstranten war aber auch so mancher hier in Kiew überrascht. Trotzdem – abseits der Innenstadt hegen einige ihre Zweifel, dass die Ukrainer noch einmal die Ausdauer haben werden, einen Regierungswechsel oder zumindest einen Politikwechsel durch Druck von der Straße zu erzwingen. Zu viele Protestaktionen hat das Land schon erlebt, und letztlich haben sie nichts gebracht, meint ein Mann.

Darauf, dass den Ukrainern die kurzfristige Wirtschaftslage wichtiger ist, als die langfristigen Aussichten darauf, durch eine Annäherung an die EU vielleicht einmal mehr Demokratie und eine Modernisierung ihrer Wirtschaft zu erreichen, setzt auch die Regierung. Sie hat ja nach Drohungen aus Russland mit Importsperren am Donnerstag überraschend die für Freitag dieser Woche geplante Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommen mit der EU auf unbestimmte Zeit aufgeschoben und erklärt, sie wolle stattdessen die Beziehungen zu Russland kitten. Darüber, dass Russland die Ukraine wirtschaftlich derart unter Druck setzt, sind viele hier freilich empört: Ein Alptraum ist das, fürchterlich, was Russland jetzt macht, das sind doch unsere Nachbarn, dass sie uns drohen das Gas abzudrehen, ja den ganzen Handel zu blockieren. Wir haben Verwandte in Russland. Aber statt dass uns Russland jetzt hilft wie einem Freund, wirft es uns Knüppel vor die Füße.

Doch die Demonstranten sind entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, selbst russische Wirtschaftssanktionen wären sie bereit durchzustehen. Es wird sehr schwer, aber dafür werden unsere Kinder, unsere Enkel unter besseren Bedingungen aufwachsen, meint eine Frau, wenn, ja wenn die Regierung letztlich doch noch auf EU-Kurs umschwenkt.