Indien: Sensationsergebnis bei Parlamentswahl

Die größte Demokratie der Welt erlebt einen historischen Machtwechsel: Bei der Parlamentswahl in Indien erringt die Hindu-nationalistische Oppositionspartei BJP von Narendra Modi die absolute Mehrheit. Die bisher regierende Kongresspartei wurde abgewählt und geht in Opposition.

Mittagsjournal, 16.5.2014

Indien nach der Wahl,

Wähler der BJP-Partei halten weiße Lotusblüten in die Höhe

(c) Piyal-Adhikary,APA,EPA

"Indien hat gewonnen"

Der Machtwechsel in Indien ist fix. Nach bisherigen Ergebnissen liegt die BJP klar voran. Für die absolute Mehrheit sind im Parlament sind 272 Mandate notwendig, die BJP könnte 276 erreichen. Die bisher regierende Kongresspartei, die die Geschickte Indiens die meiste Zeit über lenkte, sieht einer noch nie dagewesenen Niederlage entgegen.

BJP-Spitzenkandidat Narendra Modi, der zum nächsten indischen Premierminister aufsteigen könnte, meldete sich nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse auf Twitter zu Wort. "Indien hat gewonnen! Eine gute Zeit ist angebrochen." Die Kongresspartei gab hingegen ihre Niederlage zu: "Wir akzeptieren den Willen der Wähler, heißen ihn willkommen und sehen unsere Niederlage ein", sagte ein führender Kongresspolitiker. Eine besonders schmerzliche Niederlage droht der bisherigen Regierungspartei im Wahlkreis Amethi. Dort trat Rahul Gandhi an, Spross der einflussreichen Nehru-Gandhi-Familie und inoffizieller Spitzenkandidat der Kongresspartei. Der Wahlkreis wird seit Generationen von der Familie gehalten.

Polarisierender Polit-Star

Kein anderer Politiker spaltet Indien so wie Narendra Modi, der sich anschickt, der nächste Premierminister des Milliardenlandes zu werden. Seine Anhänger sehen in dem 63-Jährigen einen effektiven Verwalter, der als Regierungschef in seinem Heimatstaat Gujarat die grassierende Korruption in den Griff bekommen und Investoren angelockt hat.

Modis Gegner jedoch sehen in ihm einen intoleranten, autoritären Machtmenschen. Besonders die Muslime in Indien, die rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zittern vor dem Hindu-Nationalisten. Unter seiner Regierung metzelten Hindu-Mobs mehr als 1000 Muslime nieder, vergewaltigten, verstümmelten und verbrannten. Politische Studien bewerten die Unruhen als "Pogrome", weil sie staatlich gelenkt worden seien.

Gewählt wurde Modi unter anderem von zahlreichen jungen Indern - das Durchschnittsalter im Land liegt bei nur 27 Jahren. Sie hoffen, dass Modi die dringend benötigten Jobs in der Industrie schafft. Außerdem bietet Modi viel Raum für Identifikation: Er stammt aus einer niedrigen Kaste, wuchs in einfachen Verhältnissen in der Tempelstadt Vadnagar auf und half seinem Vater, am Bahnhof Tee zu verkaufen. Heute tritt Modi in maßgeschneiderter Kleidung und randloser Designerbrille auf.

Parteikarriere

Sein Aufstieg begann im Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), einer nach faschistischem Vorbild gegründeten Freiwilligenorganisation, die an die Hegemonie des Hinduismus glaubt. Dort stieg er vom Putzmann bis in die höchsten Ebenen auf. "Unter der Anleitung des RSS verfeinerte Modi seine Fähigkeiten, Menschen zu leiten und Organisationssysteme zu gründen", schreibt der Modi-Biograf Nilanjan Mukhopadhyay.

In den späten 1980er Jahren schickte ihn der RSS zur Schwesterorganisation BJP, der Bharatiya Janata Party. Dort machte Modi laut Mukhopadhyay durch seine Organisationskünste von sich reden und bekam nach und nach mehr Verantwortung übertragen. Schließlich wurde er in Gujarat dreimal in Folge zum Ministerpräsidenten ernannt.

Gut gepflegtes Image

Heute nennt ihn der Großindustrialist Anil Ambani einen "König unter Königen". Kritiker aber sagen, vieles am Modi-Bild sei guter Image-Pflege und PR-Arbeit zu verdanken. So seinen etwa weniger beeindruckende Wahrheiten über Gujarat - wie die hohe Schulabbrecherquote - gezielt heruntergespielt worden, sagt Ajay Dandekar, Geschichtsprofessor an der Shiv Nadar Universität.

In den vergangenen Monaten war Modi omnipräsent: auf riesigen Plakaten, in Annoncen, auf Bussen, in TV-Kanälen. Er sprach auf 347 Veranstaltungen und reiste 300 000 Kilometer durch den Subkontinent. Modi selbst beschrieb sich in zahlreichen Interviews als Freund aller. "Selbst Muslime wollen Jobs und eine gute Regierung", sagte er. Wenn er Straßen baue, könnten alle darauf fahren. (Text: APA, DPA, Red.)