25 Jahre Tiananmen: Nervöse Staatsgewalt
In der Nacht zum 4. Juni 1989 rückten Panzer in die Innenstadt Pekings vor und schlugen die seit Wochen andauernden Proteste pro-demokratischer Studenten blutig nieder. Hunderte, womöglich Tausende wurden getötet. Eine öffentliche Diskussion darüber ist in China nicht erlaubt. Die Kommunistische Partei will die Ereignisse weiterhin totschweigen und geht härter denn je gegen Kritiker vor.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 3.6.2014
Aus Peking,
Drohung gegen Journalisten
Dass Dissidenten oder Menschenrechtsanwälte vor sensiblen Jahrestagen kurzzeitig unter Hausarrest gestellt oder aus Peking verbannt werden, ist traurige Routine. Doch das Vorgehen der Behörden ist dieses Mal ungleich härter als in vergangenen Jahren. Dutzende Aktivisten wurden festgenommen, die Angehörigen der Opfer des Massakers vor 25 Jahren mundtot gemacht. Bekannte Menschenrechtsanwälte sind verschwunden. Auch auf uns ausländische Journalisten wird Druck gemacht. Wir sollen uns vom Tiananmen-Platz fernhalten, sonst drohen gravierende Konsequenzen etwa der Entzug des Visums. Das wurde mehreren Kollegen mitgeteilt, die man ins Sicherheitsbüro zitiert hat und die von Männern mit steinerner Miene belehrt wurden. Rund um den Tiananmenplatz wimmelt es vor Polizisten in Uniform und Zivil. Man fürchtet auf dem Platz spontane Protestkundgebungen. Selten zuvor haben wir Journalisten die Staatsgewalt so nervös erlebt.
"Historische Chance vertan"
In der Nacht zum 4. Juni 1989 hatten Chinas Führer Schießbefehl gegeben. Nach sechswöchigen Protesten von anfänglich zum großen Teil Studenten, denen sich später auch Arbeiter, Gewerkschafter und sogar Unternehmer angeschlossen hatten. Der Ruf nach demokratischen Reformen wurde immer lauter. Chinas Mächtige fürchteten das Ende der Partei und damit ihren eigenen Machtverlust. Gegen 21 Uhr fielen die ersten Schüsse: "In der Hotellobby, an den Wänden, überall war das Blut der Verwundeten. Die getroffen Menschen haben vor Schmerzen geschrien. Es war unerträglich", erzählt ein Augenzeuge des Massakers, der mittlerweile in Hong Kong lebt.
Die Hardliner hatten sich gegenüber den gemäßigten Stimmen innerhalb der KP endgültig durchgesetzt: "Die Partei hätte das Beste aus der Situation machen und Forderungen nach politischen Reformen akzeptieren sollen. Die Studenten wollten die Partei ja gar nicht stürzen, sondern sie wollten Reformen. Die KP hat eine historische Chance vertan", erzählt Historiker Zhang Lifan im ORF-Interview. Herr Zhang wurde damals von der Partei als einer der Vermittler zu den Studenten geschickt. Heute ist er ein offener Kritiker der KP. Und er darf das wohl nur sein, weil seine Familie innerhalb der Partei hoch angesehen ist.
Kollektive Amnesie
Erinnern ist gefährlich. Auf den Straßen Peking hat man den Eindruck, das Land leide an Amnesie, an einem kollektiven Gedächtnisverlust. "Ich erinnere mich an nichts", sagt ein älterer Mann. "Ich auch nicht", meint seine Frau. "Vor 25 Jahren gab es kein gewaltsames Ereignis bei uns."
Viele winken ab und gehen sofort weiter sobald wir den 4. Juni nur erwähnen: "Wir waren zuhause und haben geschlafen. Wir wissen nichts", erzählt uns ein anderer Mann, vor dessen Haus nachweislich viele Menschen umgekommen sind. Der Mann gibt zu, dass er damals schon hier gewohnt hat.
Vergangenheitsbewältigung auf Chinesisch. Nicht darüber sprechen. Nach dem Motto: War da was vor 25 Jahren?