Mini-Staat Abchasien am Rande Russlands

Den Beitritt zu Russland - und sollte Russland sie nicht aufnehmen, dann zumindest einen unabhängigen Staat - das ist es, wofür die Separatisten in den ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk kämpfen. International nicht anerkannte Mini-Staaten gibt es rund um Russland freilich schon jetzt einige: die Regionen Transnistrien, Süd-Ossetien und Abchasien.

Morgenjournal, 7.6.2014

In Abchasien, das die meisten Länder weiterhin als einen Teil Georgiens betrachten, hat letzte Woche eine aufgebrachte Menge den Präsidenten aus dem Amt gejagt. Ökonomische Probleme gelten als einer der Auslöser des Umsturzes. Eine bekannte russische Journalsitin meint dazu, Abchasien sei das beste Beispiel dafür, was mit Regionen passiert, die in die Einflusszone Russlands geraten. Doch welche Probleme - und welche Aussichten für die Zukunft - hat der nicht anerkannte Mini-Staat wirklich? Darüber hat ORF-Korrespondent Christian Lininger in Moskau mit dem Kaukasus-Experten Alexej Malaschenko gesprochen.

Russland nicht interessiert

Der schönste Teil der Schwarzmeerküste - so hat man Abchasien in Moskau früher gern charakterisiert. Doch Touristenströme wie zu Sowjetzeiten sieht Abchasien seit dem blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Georgien Anfang der 90er Jahre nicht mehr. Die Region, etwas kleiner als Kärnten und südlich des russischen Olympiaortes Sotschi gelegen, kann wirtschaftlich nicht auf eigenen Beinen stehen. Sie sieht sich selbst zwar als unabhängigen Staat, aber zwei Drittel des abchasischen Budgets werden direkt aus Moskau überwiesen. Und dass es der bisherige Präsident Alexandr Ankwab nicht geschafft hat, mit diesem Geld die lahmende Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, war wohl der Hauptgrund, warum ihn eine aufgebrachte Menge von 10.000 Menschen letzte Woche aus seinem Palast vertrieben hat, sagt der Kaukasusexperte Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum.

Viel ändern werden die nach dem unblutigen Umsturz nun für August angesetzten Neuwahlen aber auch nicht, meint Malaschenko, egal wer gewinnt:
Abchasien bleibt zweifellos auf Russland ausgerichtet. De facto ist es ja eigentlich russisches Territorium. Dort wird der russische Rubel verwendet, die Menschen bekommen russische Pensionen, dort gibt es russische Militärbasen - und das wird so bleiben.

Dass die enge Anbindung an Russland kein abchasischer Politiker in Frage stellt, das, so meint Kaukasusexperte Malaschenko, war auch der Grund, warum Moskau trotz des Sturzes des Präsidenten in Abchasien nicht politisch eingegriffen hat. Doch - wenn Abchasien ohnehin schon de facto Russland ist, wieso gliedert Moskau die Region dann nicht gleich an - hat nicht das Beispiel der Krim gezeigt, dass Russland offenbar keine Bedenken hat, durch eine solche Vorgangsweise das Völkerrecht zu brechen?

Eine Angliederung Abchasiens an Russland hätte anders als der Anschluss der Krim keine Symbolwirkung, sagt Malaschenko. Bei der Krim sei es ja letztlich um die Ukraine gegangen. Auch Abchasien habe Russland früher verwendet, um Druck auszuüben, in diesem Fall auf Georgien. Doch diese Zeiten seien vorbei - Russland, so Malaschenko, habe daher kein Interesse an einem Anschluss Abchasiens. Überhaupt, so der Experte vom Moskauer Carnegie-Zentrum, sei Russland inzwischen zurückhaltender, auch was die ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk betrifft, wo die dortigen Separatisten ja ebenfalls einen Beitritt zu Russland fordern:

Russland ist an einem Anschluss dieser Gebiete überhaupt nicht interessiert, ja, Russland hat nicht einmal ein Interesse, dass dort eine unabhängige Republik gegründet wird, weil: wer wird denn diese Republik dann durchfüttern? Russland muss jetzt schon die Krim erhalten - mit fast zweieinhalb Millionen Einwohnern. Wenn jetzt noch 6 Millionen aus Donezk und Lugansk dazukämen - das würde Russland nicht aushalten, ganz sicher nicht.

Abchasien mit seinen nur 240.000 Einwohner zu erhalten, so Maleschko, sei da im Vergleich hingegen geradezu billig. Umgerechnet 45 Millionen Euro hat Moskau bisher im Jahr dorthin geschickt. Jetzt wurde angesichts der schwierigen Wirtschaftslage aber sogar diese Summe auf die Hälfte gekürzt. Wer auch immer bei den Wahlen im August also neuer abchasischer Präsident wird, er wird es nicht einfach haben. Abchasien müsste die wirtschaftliche Abhängigkeit von Moskau überwinden, empfehlen russische Kommentatoren. Doch das hat der weitgehend isolierte, weltweit nur von 4 Ländern anerkannte Mini-Staat schon in den letzten 20 Jahren nicht geschafft.