Kehlmanns Essayband "Kommt, Geister"
Daniel Kehlmann stellt in seinem neuen Buch ästhetische Schreckensgestalten seiner Kindheit gegen literarische Hausgötter. Der Band enthält Poetikvorlesungen, die der Autor im Sommersemester 2014 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt gehalten hat.
8. April 2017, 21:58
Der Autor von Weltbestsellern wie "F" und "Die Vermessung der Welt" gibt in seinem neuen Band "Kommt, Geister" Auskunft über seine mannigfachen Lektüre-Obsessionen.
Morgenjournal, 6.3.2015
Phantasie an die Macht: Mit diesem bewährten Slogan könnte man Daniel Kehlmanns literarisches Credo kurz und prägnant auf den Punkt bringen. Nicht umsonst zählen Schriftsteller wie Leo Perutz, J.R.R. Tolkien und Gabriel Garcia Marquez zu Kehlmanns Lieblingsautoren, tollkühne Schöpfer phantastischer Literaturwelten, die den platten Naturalismus unseres Alltagsverstandes weit hinter sich gelassen haben.
Strammer Realismus - Kehlmanns literarische Lieblingsrichtung war das nie: "Das war mir immer langweilig", erklärt der Autor. "Ich sage nicht, dass das schlecht ist, ich sage nicht, dass es nicht großartige Bücher gibt, die stramm realistisch erzählt sind, also, ich will daraus keine Regel machen, aber ich merke doch bei mir, und das ist eine Konstante meiner literarischen Arbeit, dass rein realistisches Erzählen mich nicht genug interessiert und mich nicht genug fesselt."
Alexander versus Bachmann
Daniel Kehlmann beschäftigt sich in seinen Poetikvorlesungen vor allem mit seinen literarischen Hausgöttern Shakespeare, Grimmelshausen und Leo Perutz, aber auch mit Peter Alexander, einer der ästhetischen Schreckensgestalten seiner Kindheit und Jugend. In einer ausführlichen Analyse des Films "Peter schießt den Vogel ab" aus dem Jahr 1959 lässt Kehlmann seiner Aversion gegen einen der, wie er findet, abgründigsten Schmierenkomödianten der Nachkriegszeit freien Lauf.
"Es wird ja gerne über gesagt Peter Alexander, das wäre noch ein Könner gewesen, der österreichische Frank Sinatra oder so etwas. Aber wenn man ihn sich bewusst und unverklärt ansieht, dann ist es schon unglaublich, wie unecht jede einzelne Geste ist. Er ist wie ein großes Gesamtkunstwerk der vollkommenen Inauthentizität. Und die Filme sind ja wirklich ... also, dass die schlecht sind, ist gar nicht der Punkt, die sind auf eine gewisse Art wirklich wahnsinnig."
Am Beispiel Peter Alexanders arbeitet Kehlmann die unerhörte Verdrängungsleistung heraus, die die deutsche und österreichische Unterhaltungskultur der Wirtschaftswunderzeit dem Nationalsozialismus gegenüber an den Tag gelegt hat. Dem stellt der Schriftsteller die große Ingeborg Bachmann gegenüber: "Wenn Ingeborg Bachmann häufig zitiert wird mit diesem Satz 'Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar', dann frage ich mich: Was für eine Wahrheit meint sie da eigentlich, und in welchem Kontext spricht sie hier? Und da war für mich dann Peter Alexander als Gegenfigur - nicht persönlich, sondern wofür er 'künstlerisch' steht - als Kontrastierung hochinteressant."
Daniel Kehlmanns Frankfurter Poetikvorlesungen sind nicht nur eine amüsante und immer wieder anregende Lektüre, sie zeigen den 40-jährigen Autor auch als gewieften Ästhetiker. "Kommt, Geister" ist mehr als nur das Nebenwerk eines hochreflektierten Schriftstellers.