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Das Hörspieljahr 2015
17 Neuproduktionen standen zur Wahl für das Hörspiel des Jahres 2015. Das Spektrum reichte von Klassikern wie "Kaiser Joseph II. und die Bahnwärterstochter" von Fritz von Herzmanovsky-Orlando bis zu zeitgenössischen Hörspielen wie "Neues Leben im falschen" von Robert Woelfl.
8. April 2017, 21:58
ORF
Über 100.000 Wahlberechtigte
Zum bereits 23. Mal waren Sie, das Ö1 Publikum, eingeladen, das "Hörspiel des Jahres" zu wählen. Wahlberechtigt waren mehr als 100.000 Hörerinnen und Hörer, die Woche für Woche den Hörspielen auf Ö1 folgen. Sei es im "Hörspiel-Studio" am Dienstagabend oder in der "Hörspiel-Galerie" am Samstagnachmittag.
Und das ist Ihre Entscheidung:
Die Gewinner
Platz 1: Das Wechselbälgchen
Die anlässlich des 100. Geburtstages von Christine Lavant entstandene Hörspiel-Fassung – mit Sophie Rois als Erzählerin und Musik von Franz Hautzinger, Mathias Loibner und Peter Rosmanith, der auch Regie führte. Mit großer Eindringlichkeit, direkt, rau und zeitlos beschreibt Lavant (1915-1973) die Ausgrenzung einer Schwachen aus der Dorfgemeinschaft.
Platz 2: Play
Ein junger Chirurg findet im Auto seines Großvaters eine alte Tonbandkassette, auf der die Witwe eines Arztes einer Journalistin den Mord an ihrem Mann gesteht für den es keinerlei Beweise gibt.
Platz 3: Aus meinem Leben
Ein Stück Heimatliteratur mit einem scharfen Blick auf die Verhältnisse des Bauernstandes des vorvorigen Jahrhunderts.
Hörspielpreis der Kritik
Der zum neunten Mal vergebene Hörspielpreis der Kritik geht an Hornissengedächtnis von David Zane Mairowitz.
Margarete Affenzeller ("Der Standard"), Frido Hütter ("Kleine Zeitung"), Hedwig Kainberger ("Salzburger Nachrichten") und Norbert Mayer ("Die Presse") zeichneten das ihrer Ansicht nach „künstlerisch anspruchsvollste und ansprechendste“ Hörspiel des Jahres aus.
"Hornissengedächtnis" von David Zane Mairowitz, der auch Regie führte, erzählt aus permanent wechselnden Perspektiven die Geschichte eines entfremdeten Paares (Erni Mangold/Gerti Drassl und Hans-Michael Rehberg/Alexander Scheer), das versucht, jeweils die Deutungshoheit über all das Vergangene zu erlangen, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt und sie damals entzweite. Die Enkelin (Pippa Galli) dieses jüdischen Paares, das vor den Nazis aus Frankreich in die Schweiz flüchten konnte, wirkt als Vermittlerin.
Das Beste zum Wieder-Hören
Das "Hörspiel des Jahres" wird am Samstag, den 27. Februar um 14:00 Uhr in Ö1 erneut ausgestrahlt. Mairowitz' Stück wird im "Hörspiel-Studio" am Dienstag, dem 8. März ab 21:00 Uhr ausgestrahlt.
Die Hörspiele im Überblick
Wie kaum eine andere Kunstform kann das Hörspiel Privates zur Darstellung bringen, ohne voyeuristisch zu wirken. Diese Stärke des Genres zeigt sich in mehreren neuen Produktionen: In dem Hörspiel "Zu nahe" der oberösterreichischen Autorin Elisa Minth beschreibt diese die Beziehung zweier Zwillingsschwestern. Gemeinsame embryonale Zeit, verknüpfte Identitätsbildung, verknotetes Bewusstsein - die Ich-Bildung vollzieht sich später als bei Einzelgeborenen und mit Schmerzen und Konflikten, die beiden Schwestern waren sich immer "zu nahe". Die Schwierigkeiten, seine eigene Identität zu entwickeln, die Probleme mit Eigen- und Fremdbild waren auch Thema von Produktionen wie "Dürre Jahre" von Helene Flöss, "Wer bist du? " von Dieter Sperl, "Drei Schwestern auf Urlaub von Pia Hierzegger", "ER+ICH: Leichenschmaus für Erich" von Helmut Hostnig oder "Neues Leben im falschen" von Robert Woelfl. Während uns das Hörspiel "Dürre Jahre", produziert im Landesstudio Tirol, eindringlich die Situation eines jungen magersüchtigen Mädchens vermittelte, reflektierte die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Pia Hierzegger mit "Drei Schwestern auf Urlaub" durchaus ironisierend das Leben dreier Frauen Mitte 30.
17 Hörspiele standen zur Wahl
- Zu nahe, Elisa Minth (Regie: A. Elstner)
- Made in Austria, Rosemarie Poiarkov/Oleg Soulimenko (Regie: die Autoren)
- Später Ruhm, Arthur Schnitzler (Bearbeitung: H. Peschina u. H. Krewer / Regie: H. Krewer, NDR/ORF)
- Sieben Leben. Eine Fabel mit vier Katzen, zwei Menschen und einem weißen Klavier", Magda Woitzuck (Regie: P. Kaizar)
- Wer bist du?, Dieter Sperl (Regie: der Autor)
- Hornissengedächtnis, David Zane Mairowitz (Regie: der Autor, SRF/ORF)
- Ein dickes Fell (3 Teile), Heinrich Steinfest (Bearbeitung u. Regie: G. Fritsch, ORF/SWR)
- Das Wechselbälgchen, Christine Lavant (Bearbeitung: J. Hahn u. P. Rosmanith/ Regie: P. Rosmanith)
- ER+ICH: Leichenschmaus für Erich, Helmut Hostnig (Regie: der Autor)
- Drei Schwestern auf Urlaub, Pia Hierzegger (Regie: die Autorin)
- Eine Wiener Romanze, David Vogel (Bearbeitung: H. Peschina / Regie: H. Krewer, ORF/Deutschlandradio Kultur)
- Neues Leben im falschen, Robert Woelfl (Regie: G. Fritsch)
- Aus meinem Leben, Franz Michael Felder (Bearbeitung: H. Peschina / Regie: Ph. Scheiner)
- Kaiser Joseph II. und die Bahnwärterstochter, Fritz von Herzmanovsky-Orlando (Bearbeitung: W. Berger / Regie: W. Berger u. Ph. Scheiner)
- Dürre Jahre, Helene Flöss (Bearbeitung u. Regie: M. Sailer)
- Play, Bernhard Aichner (Regie: M. Sailer)
- Da will etwas Eigenes zu Wort und Weise kommen , Rainer Maria Rilke (Bearbeitung: S. Hudl und A. Simons von Bockum Dolffs / Regie: S. Hudl)
Zwei Hörspielprojekte, die in Koproduktion mit dem NDR bzw. dem Deutschlandradio Kultur entstanden sind, führen uns in das Wien des Fin de Siècle: "Später Ruhm", die 2013 in Cambridge aufgefundene, ursprünglich verschollen geglaubte frühe Novelle Arthur Schnitzlers ist ein Porträt der literarischen Wiener Bohème. In diesem Hörspiel werden auch Ängste und Zweifel des 32-jährigen Arthur Schnitzler an seiner literarischen Kompetenz deutlich. Noch stärker autobiografisch ist der Hörspielzweiteiler "Eine Wiener Romanze" von David Vogel. Der 1910, im Original in Hebräisch geschriebene Roman des aus der Ukraine stammenden Autors, der ebenfalls wie Schnitzlers "Später Ruhm" erst vor wenigen Jahren wieder entdeckt wurde, thematisiert Jugendkult und Urbanität, den Verfall von Idealen und den bevorstehenden Niedergang eines großen Reiches.
Nicht im Studio, sondern an Original-Hörplätzen entstand "Sieben Leben", das vierte Hörspiel der jungen österreichischen Autorin Magda Woitzuck, "eine Fabel mit vier Katzen, zwei Menschen und einem weißen Klavier", realisiert im Surround-Sound von Peter Kaizar. Dokumentarischen Charakter hatten das Hörstück "Wer bist du? " von Dieter Sperl, er stellte 28 Menschen unterschiedlicher Berufe und Berufungen diese eine einzige Frage - ohne zeitliche oder inhaltliche Beschränkung und "Made in Austria" von Rosemarie Poiarkov und Oleg Soulimenko. Hier erzählten sechs Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, warum sie Österreich zu ihrer Wahlheimat gemacht haben und hier glücklich sind.
Außergewöhnlich von Besetzung und Ausmaß war der Radiokrimi "Ein dickes Fell" von Heinrich Steinfest, ein Krimi-Dreiteiler mit bekannten Stimmen in ungewöhnlichen Rollen wie z.B. Anne Bennent als Auftragsmörderin oder Gerti Drassl als ihr behinderter Sohn. Bewährter Erzähler war Wolfram Berger, der für Ö1 auch "Kaiser Joseph II. und die Bahnwärterstochter" von Fritz von Herzmanovsky-Orlando aufgenommen hat, "ein parodistisches Spiel mit Musik in einem Akt, ein Solo für zirka 57 Stimmen", alle dargeboten von Wolfram Berger selbst.
In Koproduktion mit der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz hat das Landesstudio Oberösterreich das Hörspiel "Da will etwas Eigenes zu Wort und Weise kommen. Rilke im Gespräch mit jungen Künstlern" produziert, eine moderne Hörcollage auf Basis von Briefen des Dichters Rainer Maria Rilke. Direkte und indirekte Auswirkungen der Herrschaft der Nationalsozialisten dokumentierte das Hörspiel "Hornissengedächtnis" von David Zane Mairowitz. Ein einstiges Liebespaar hat fünfzig Jahre kein Wort mehr miteinander gesprochen, ihre Enkelin versucht das Unmögliche: zwischen den beiden zu vermitteln.