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Sportjournalismus
"Man kennt sich sehr gut"
Über tausend Metern sind alle per Du, heißt es. Was bedeutet das für die Sportberichterstattung? Zum Beispiel wenn Reporter, wie jetzt im Winter, monatelang gemeinsam mit Skisportlern und Trainern von einem Rennen zum anderen fahren. Kann man da noch kritische Fragen stellen?
5. Februar 2018, 02:00
"Man wohnt in denselben Hotels, man isst am selben Tisch. Ich habe zum Beispiel zum Ferdinand Hirscher, zum Vater vom Marcel, ein sehr gutes Verhältnis. Aber der hat noch nie gesagt: 'Du, wenn er morgen schlecht fährt, da sagt nichts, dass er schlecht trainiert hat.' Da gibt es keine Absprachen. Aber man kennt sich sehr gut", erzählt ORF-Radio-Sportchef Adi Niederkorn. Er gibt auch durchaus zu, dass manchmal die zweite oder dritte Frage nicht ganz so kritisch ausfällt, wenn man sich gut kennt.
"Da würd' ich mir eher die Finger brechen"
Journalistenkollegen sehen das Naheverhältnis zwischen ORF und den Sportlern kritisch. Christian Hackl, Sportjournalist bei der Tageszeitung "Der Standard" zum Beispiel: "‘Danke Marcel und unsere Anna wieder da‘ - Da tät‘ ich mir eher die Finger brechen, bevor ich so ein Wort sage oder schreibe".
Verträge, wie es sie zwischen dem Österreichischen Skiverband und ORF oder der Kronen Zeitung gibt, hätten Einfluss auf die Berichterstattung, glaubt Hackl. Er kritisiert zum Beispiel, dass die Missbrauchsfälle im Skisport im ORF Fernsehen in der ZiB2 behandelt wurden, und weniger in den Sportsendungen.
Wer berichtet über die Missbrauchsfälle?
Ein Vorwurf, den ORF-Sportchef Hans-Peter Trost nicht gelten lässt. Er sagt in der aktuellen Sportsendung, die 4 Minuten 30 Sekunden lang ist, habe man nicht genug Platz, um solche Geschichten aufzuarbeiten. Die einzige Sendung wäre "Sport am Sonntag" gewesen und die sei wegen Live-Strecken ausgefallen. "Deshalb haben wir ja mit der ZIB und mit "Thema" diese Thematik bearbeitet. Da sind wir immer mit dabei."
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Nachhilfe vom ÖSV per E-Mail
Tatsächlich haben aber nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle Sportredaktionen vom Österreichischen Skiverband in dieser Sache einen Brief bekommen. Darin steht: Man lege Wert auf die Feststellung, dass der ÖSV keine Schulen oder Internate betreibe. Man wolle sich "dagegen verwehren, dass der ÖSV im Zusammenhang mit solchen Vorwürfen als mitverantwortliche Institution genannt wird." Und die Chefredakteure sollten doch bitte "für eine korrekte Information helfen".
"Du wirst mit Informationen gefüttert"
Die ORF-Fernsehreporter seien jedenfalls nicht zu befangen, Geschichten über Missbrauch oder Doping zu machen, das habe er noch nie erlebt, sagt Trost. Adi Niederkorn vom Radio findet es hilfreich, wenn andere Redaktionen die Berichterstattung ergänzen.
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Zlatko Junuzovic und Adi Niederkorn, 2016
"Du wirst von Informationen der einen Seite gefüttert, sprich vom ÖSV im Missbrauchsfall. Du beginnst das Ganze abzuwägen und bist nicht mehr sicher, was stimmt, was stimmt nicht. Mir ist das sehr recht, wenn diese Sachen dann die Chronik macht, die kennen die Personen nicht."
Ein Drahtseilakt zwischen Nähe und Distanz, den Redaktionen unterschiedlich thematisieren.
Wo man sich duzen darf
Mit dem Du oder Sie gehen die beiden ORF Sportredaktionen unterschiedlich um. Die Radioreporter sind mit vielen Sportlern per Du und auf Ö3 duzen sie sich auch auf Sendung, das wäre sonst nicht locker und authentisch, sagt Adi Niederkorn. Beim ORF Fernsehen will man das nicht, da siezt man sich, um die Distanz zu demonstrieren. Auch weil man eine schiefe Optik vermeiden will, denn die Reporter seien oft viel älter sind als die Sportler, so Trost.