Wilhelm Genazino

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Nachruf

Schriftsteller Wilhelm Genazino ist tot

Der deutsche Schriftsteller Wilhelm Genazino ("Wenn wir Tiere wären") ist tot. Er starb am Mittwoch im Alter von 75 Jahren nach kurzer Krankheit, wie der Carl Hanser Verlag in München mitteilte.

Kulturjournal | 14 12 2018

Wolfgang Popp

Wie heute bekannt wurde, ist der deutsche Schriftsteller Wilhelm Genazino am 12. Dezember 2018 nach kurzer Krankheit gestorben. Genazino, Jahrgang 1943, begann als Journalist, bevor er 1977 mit seinem Roman "Abschaffel" bekannt wurde. Vom Literaturpreis in Bremen bis zum Kleist-Preis gewann er die renommiertesten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum, am bedeutendsten war natürlich die Verleihung des Büchner-Preises 2004.

Unverwechselbare Charaktere

Wilhelm Genazinos Ich-Erzähler waren Eigenbrötler aus Überzeugung, immer im Kampf gegen die Zudringlichkeiten des modernen Großstadtlebens. Beruflicher Ehrgeiz gehörte nicht einmal zu ihren zweitrangigen Eigenschaften, bei ihnen ihre Maxime war nicht Zeit ist Geld, sondern Zeit ist Zeit.

"Meine Romanhelden langweilen sich fast alle, kommen dadurch aber auf neue Ideen und sind bereit, über ihr Leben zu reflektieren", so Genazino in einem Interview.

Aufmerksames Flanieren

Die liebste Fortbewegungsart einer Genazino-Figur war das aufmerksame Flanieren. Da konnte dann jede Beobachtung eine Ideenkette auslösen, die die Welt aus den Angeln hob. Das hatten die Figuren mit ihrem Schöpfer gemeinsam, denn Genazino schätzte den gepflegten Spaziergang, von dem er jedes Mal mit einer satten Ausbeute an Bleistiftgeschriebenen Notizen nach Hause kam. Diese Gedankenfunken wurden jedoch akribisch gesammelt und in einem gefinkelten Ordnungssystem erfasst.

Viele seiner literarischen Auszeichnungen hätte sich Wilhelm Genazino allein für die Titel seiner Romane verdient. "Ein Regenschirm für diesen Tag", "Die Liebesblödigkeit" und "Das Glück in glücksfernen Zeiten" sollen hier als Beispiel dienen. Bei all ihrer Dichte, dick waren Genazinos Bücher nicht, meist nicht viel mehr als 200 Seiten stark. "Die Angst heißt: Wenn du nicht das Ende findest, dann musst du 700 Seiten wie Robert Musil schreiben. Und das kannst du nicht", so der Autor: "Tatsächlich habe ich es bisher nicht versucht - aus Angst, dass mir auf Site 376 das Buch wegschwimmt."

Beiläufige Begegnungen

Genazinos Helden waren Wäschereifahrer, Hotelrezeptionisten und Probeläufer für Luxusschuhe und man begegnete ihnen wie beiläufig, genauso wie man sich auch ganz zwanglos wieder von ihnen verabschiedete. "Wenn ein Roman zu Ende geht, dann muss er so gut sein, dass er gerade wieder anfangen könnte", sagte Genazino.

Das ist es wohl, was den Lesern als kleiner Trost bleibt: Dass Wilhelm Genazinos Bücher nicht mit der letzten Seite enden.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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