Das Buch des Monats August

ORF/LILI WALLINGER

August

Jiri Weil, "Mendelssohn auf dem Dach"

Dass es in diesem Buch kein gutes Ende geben wird, ahnt man von Anfang an. Man bangt und hofft, dass die Hoffnung zuletzt nicht sterben möge. Und bleibt doch erschüttert zurück nach der Lektüre von Jiri Weils Roman "Mendelssohn auf dem Dach".

Ex libris | 14 07 2019 | Rezension von Gudrun Braunsperger

Der 1900 geborene tschechisch-jüdische Autor wusste, wovon er schrieb. "Mendelssohn auf dem Dach" handelt von der Besetzung Prags durch die Nationalsozialisten, vom Terror durch SS und Gestapo und von der Verfolgung und Deportation der Juden, von Kollaboration, aber auch vom Widerstand im Untergrund - und vom Heydrich-Attentat.

Posthum erschienener Epochenroman

In seinem 1960 posthum erschienenen Epochenroman verdichtet der Autor die eigene schicksalhafte Lebenserfahrung als Seismograph seiner Zeit. Maßgeblich dafür war die Repression durch Nationalsozialismus und Kommunismus, für den sich der junge Jiri Weil ursprünglich begeistert hatte.

1933 war er als Journalist und Übersetzer nach Moskau gegangen, wurde dort jedoch aus der Partei ausgeschlossen und nach Zentralasien deportiert. Die Rückkehr nach Prag gelang ihm zwar 1935, aber schon vier Jahre später geriet er nach der Besetzung Prags durch die Nationalsozialisten neuerlich in Bedrängnis. Es gelang ihm, der Verfolgung durch einen vorgetäuschten Selbstmord in den Untergrund zu entkommen. Die Nachkriegszeit brachte keine nachhaltige Erleichterung: Der Stalin-kritische Autor wurde unter sowjetischem Einfluss mit Publikationsverbot belegt.

Es beginnt als ein Schelmenroman

Schicksalhafte Verstrickungen in verhängnisvollen Schlaufen, eine führt zur nächsten. Dieses Schema wird in der Erzählweise abgebildet, die Weil für seinen Roman gewählt hat: Ein Geflecht mehrerer Erzählstränge zeugt von der tragischen Dynamik der Verstrickungen, die hier dichterisch gestaltet werden. Es begegnen einander Täter und Opfer, von böswilligem Sadismus gesteuerte machtbesessene Unterdrücker sowie Mitläufer, die ihr kleines Leben zu schützen versuchen, Kollaborateure, Verräter und ohnmächtige Bürger, für die es kein Entkommen zu geben scheint. Dabei beginnt alles als Schelmenroman, als Versuch, den Lauf der Geschichte durch ein ordentliches Maß Chuzpe zu beeinflussen …

Service

Jiří Weil, "Mendelssohn auf dem Dach", Roman, aus dem Tschechischen von Eckhard Thiele, Wagenbach Verlag