Eine Frau am Handy sitzt mit ihrem Kind an der Bordsteinkante.

AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Krieg gegen Ukraine

Die Info-Schlacht auf allen Kanälen

Soziale Medien und Messenger-Dienste wie Telegram spielen im Ukraine-Krieg eine so große Rolle wie noch in keinem anderen Krieg davor. Kommentatoren sprechen überspitzt auch von einem "TikTok-Krieg". Manche sehen Russland im Netz unterlegen, noch ist die Kampf um die öffentliche Meinung noch nicht geschlagen.

Erste Reihe fußfrei kann die Welt derzeit den Krieg in der Ukraine verfolgen. Auf unseren Handys prasseln ständig neue Bilder und Videos ein. Kämpfe, mit Musik unterlegt, auf TikTok. Die erste trotzige Rede von Präsident Wolodymyr Selenski auf auf YouTube. Die Appelle des Boxers Vitali Klitschko, heute Bürgermeister von Kiew, auf Twitter. Die Ukrainer, die sich den Panzern in den Weg stellen und das Mädchen, das im Bunker singt, auf Facebook. Aber die Ukraine hat den Info-Krieg nicht gewonnen. Die russischen Trolle schlafen nicht und sie sind brandgefährlich.

Echte Geschichten, die berühren

In der Ukraine machen die Botschaften Mut. Im Westen sorgen sie für Einigkeit. Überall finden Benefizkonzerte statt, der Hashtag #WeStandWithUkraine wird zum Selbstverständnis. Im Kampf um die öffentliche Meinung hat die Ukraine einen Vorsprung, sagt Natalia Antelava. Die Georgierin war jahrelang für die BBC in der Region Journalistin und leitet nun das Online-Medium "Coda-Story", spezialisiert auf Desinformation - eine Disziplin, die Russland mit seinen Trollfabriken eigentlich gut beherrscht: "Aber als die Invasion begonnen hat, hat Russland diese erste Runde im Informationskrieg verloren. Denn die Geschichten aus der Ukraine waren authentisch, das waren echte Erfahrungen, sie waren berührend und überzeugend", sagt Antelava.

Gut gegen Böse

Selten sei das Narrativ so klar: Gut gegen Böse. Der Held: Präsident Selenski. Als ehemaliger Schauspieler tut er sich in den Medien leicht. Und die Ukraine hat in den letzten Jahren mit Beratung aus der EU eine professionelle Medienarbeit aufgebaut. Die EU unterstützt neue Demokratien dabei seit Jahren. Das hilft jetzt.

"Russland sieht aus wie ein Dinosaurier"

Im Gegenzug gibt es kaum Postings von der russischen Bevölkerung. Es drohen ja viele Jahre Haft, allein wenn das Wort "Krieg" verwendet wird. Dafür ist Präsident Wladimir Putin zu sehen, wie er an einem langen Verhandlungstisch sitzt. "Wir sehen alte Männer, die jede Minute lügen. Russland sieht aus wie ein Dinosaurier", sagt Galina Timtschenko. Sie leitet das unabhängige russische Nachrichtenportal "Meduza", das in Russland längst blockiert ist, deshalb sitzt sie in Lettland. "Meduza" wurde nun auch von der beliebten russischen Facebook-Variante "V-Kontakte" blockiert. Westliche soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter sind auch verboten, sind aber über eine Hintertür erreichbar: Die Software-Lösung VPN. Aber der echte Kampf um die öffentliche Meinung finde im russischen Staatsfernsehen statt, sagt Timtschenko.

Nur Schwarzenegger rührt manche Russen zu Tränen

Im russischen Netz schafft vor allem eine Stimme aus dem Westen den Durchbruch: Der in Russland sehr beliebte Arnold Schwarzenegger mit seiner Videobotschaft an die Bevölkerung, dass sie vom Kreml über den Krieg belogen werde. "Ich habe geweint", sagt Timschenko. "Er war so respektvoll. Das haben sehr viele geteilt."

Russland gewinnt Info-Krieg zu Hause

Doch das Putin-Regime erreiche im Informationskrieg dennoch seine Ziele, sagt die gebürtige Russin Alena Epifanova, Analystin bei der deutschen Gesellschaft für Außenpolitik. "Russland gewinnt diesen Informationskrieg im eigenen Land und die russische Bevölkerung ist bisher viel wichtiger." Denn Putin müsse seinen Krieg erklären. Die russischen Trolle im Ausland schlafen deshalb aber nicht, sie sind wieder aktiv. "Weil es auch unter extremen Sanktionen leidet und weiter leiden wird und da glaube ich auch, erhofft sich der Kreml eine bestimmte Unterstützung zu bekommen", sagt Epifanova. Die Unterstützung kommt zum Beispiel von den rechten Parteien in Europa. Aber auch von so manchen Linken, weil sie dem Argument folgen, die NATO sei die Bedrohung.

Die russischen Trolle sind wieder da

Als Antwort auf den Hashtag #IStandWithUkraine wurde kürzlich über russische Kanäle auf Twitter der Hashtag #IStandWithPutin verbreitet, auch durch die Twitter-Accounts der russischen Botschaft, zum Beispiel. Das Ziel ist nicht nur der Westen. Sondern vor allem der Nahe Osten und Indien, wo Kritik an den USA und der NATO auf fruchtbaren Boden fällt und Russland sich Unterstützung erhofft, sagt Natalia Antelava von CODA. Dazu komme, dass im Westen nach dem ersten Schrecken das Interesse an den Kriegsvideos nachlässt. "Das werden die russischen Trolle ausnutzen. Und je mehr das Interesse schwindet, desto leichter wird es."

Russlands falsche Geschichten

Welche russischen Erzählungen sich breitmachen, beobachtet Dietmar Pichler vom Zentrum für Digitale Medienkompetenz in Wien, der Russisch spricht und die Region kennt. Der Propaganda Bericht, dass ukrainische Truppen ein Kind gekreuzigt hätten, werde zum Beispiel noch immer von vielen geglaubt. "Aber ich denke, die absolut problematischte Desinformation ist die der angeblichen Diskriminierung der russischsprachigen Ukrainer", so Pichler. Das gebe es bekanntlich nicht, die russisch-sprachige Bevölkerung im Osten sei vom Krieg vielmehr am schwersten getroffen. So wie nach der Annexion der Krim 2014 komme die Propaganda in zwei Phasen: "Zuerst geht es um die Dämonisierung der Ukraine und dann geht es natürlich auch darum, unsere demokratischen Institutionen zu destabilisieren oder zu delegitimieren, um hier auch weiter zu spalten. Das wird Populisten aller Couleurs natürlich zur Unterstützung kommen." Auch das "Z" ist im Netz zu einem starken Symbol für Russland geworden. Es hat ursprünglich nur russische Panzer markiert.

Lügen Ukrainer nicht?

Die Geschichte "Gut gegen Böse" soll in Frage gestellt werden. Und das wird sie, sagt auch Lutz Güllner, der für die Europäische Union russische Desinformationskampagnen verfolgt und eine EU-Taskforce leitet: "Wenn wir über einzelne Inhalte sprechen, die vielleicht schief wiedergegeben werden: Das würde ich nicht ausschließen, bei niemandem. Aber der große Unterschied, und da würde ich wirklich eine dicke rote Linie setzen ist, welche Staatsaktivitäten dahinterstehen."

Die rote Linie: Lügen, bezahlt vom Staat

Die Ukraine habe so ein System nicht. Deshalb sei der Vorwurf, auch Kiew lüge, verfehlt, sagt Güllner. "Wer das sagt, relativiert die russischen Aktivitäten, relativiert den Staatsapparat, der dahintersteht, relativiert den Einfluss der Geheimdienste auch in dem Bereich, relativiert die enormen finanziellen Ressourcen, die dahinterstehen. Also diese Gleichstellung würde ich nicht machen."

Zündeln im Netz ist brandgefährlich

Eine bekannte Taktik, um Zweifel zu säen und den Widerstand zu brechen. Aber kann das, was im Netz die Runde macht, auch kriegsentscheidend sein? Durchaus, meint Güllner, zum Beispiel wenn gesagt werde, die Ukraine habe biologische oder chemische Waffen, um damit möglicherweise eine Eskalation zu rechtfertigen: "Deswegen sollten wir das nicht schnell abtun als Blabla im Internet, wie das einige gerne machen. Ich würde das sehr viel ernster nehmen und das sicherheitspolitische Situation einordnen."

"Whataboutism" ist unsere Falle

Auch die Journalistin Antelava warnt davor, Putin - wie schon auf seinen Feldzügen in jüngerer Vergangenheit - auf den Leim zu gehen. Die größte Gefahr sei das, was man im Englischen "Whataboutism" nennt. Also wenn man relativiere und frage: Aber was war mit den Amerikanern im Irak? Die Frage stelle sich hier nicht. Es sei nur ein weiteres "aber" um von Putins Plänen abzulenken, und es bedeute, ihn nicht ernst genug zu nehmen, wie schon so oft, sagt sie. "Wenn wir Putins Geschichten übernehmen, geben wir ihm noch mehr Macht. Putin ist so gefährlich wie Hitler. Er wird nicht stoppen. Wenn wir wieder "aber" sagen, dann kann er diesen Krieg gewinnen."

Übersicht