Thomas Seifert

MARKUS MATZEL

Berichten aus der Ukraine

Das Einmaleins des Kriegsreporters

Thomas Seifert ist seit zwanzig Jahren auch als Kriegsberichterstatter in der Welt unterwegs. Sierra Leone, Tschetschenien, Irak, Afghanistan, Syrien sind nur einige der Schauplätze, von wo aus er berichtet hat. Der stellvertretende Chefredakteur der "Wiener Zeitung" war zuletzt mehrere Tage in Lemberg in der Westukraine, wo er Reportagen verfasst und für einen weiteren Aufenthalt sondiert hat. #doublecheck hat mit Seifert über die Basics und den Alltag des Kriegsreporters gesprochen.

Die Bezeichnung Kriegsberichterstatter mögen viele von denen, die diese Arbeit machen, übrigens nicht, erzählt Seifert: "Das ist so ein bisschen wie Kriegskiebitze - was der Karl Kraus schon im Ersten Weltkrieg zu Recht kritisiert hat. Man ist mit der Zuschreibung nicht ganz glücklich. Aber natürlich, ja es stimmt, man berichtet aus dem Krieg. Insofern ist das Label nicht ganz unzutreffend." Er habe zuletzt nicht direkt aus dem Krieg, sondern eben aus dem Hinterland berichtet. Die Anspannung ist dort natürlich auch sehr groß.

Luftalarm auch im scheinbar sicheren Hinterland

In Lwiw/Lemberg habe es in den Tagen, als er dort war, immer wieder Luftalarm gegeben, sagt Seifert. Mit Charkiw oder Kiew könne man die Arbeitsbedingungen als Reporter dort natürlich nicht vergleichen. "Wenn alle Panik gehabt hätten, hätte ich die wahrscheinlich auch bekommen. Aber nachdem Frauen mit Kindern hier ganz normal ihre Einkäufe erledigt haben oder ganz normal die Alltagsgeschäfte weiter betrieben haben, habe ich das dann auch so gehalten."

Mit dem Zug von Wien Hauptbahnhof in den Krieg

Hinzukommen sei nicht schwierig gewesen, man kann in Wien Hauptbahnhof in den Zug steigen und ist am nächsten Tag am Nachmittag in Lemberg. An der Grenze musste Seifert aussteigen. "Aber es funktionierte dann alles mit der Akkreditierung. Die muss man vorher beantragen bei der Armee, denn es ist natürlich Kriegsrecht im Land, und das heißt die Armee hat da die Oberhoheit über all diese Dinge." Dann sei man durch, der ganze Zug wird auf die Breitspur-Geleise gehoben, es geht im selben Waggon mit anderem Fahrgestell weiter nach Lwiw.

Thomas Seifert im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher

Hotel buchen am besten im historischen Zentrum

"Man sucht sich dann schon Hotels aus, die irgendwie so liegen, dass da vielleicht jetzt mal Kunstschätze in der Nähe sind, Kirchen, irgendetwas, was vielleicht jetzt nicht gerade ein Ziel abgibt." Gebucht wird telefonisch, im besten Fall über die Fixerin, die man engagiert hat. Seifert: "Die fixt alles, checkt und macht alles so, dass es hinhaut. Man kommt hin, sie ist Reiseleiterin, Übersetzerin, man bespricht auch die Geschichten durch."

"Ohne die Fixerin wäre ich aufgeschmissen"

Ohne diese Unterstützung einer sprachkundigen und ortskundigen Person wäre er komplett aufgeschmissen, so der Chefredakteur-Stellvertreter der "Wiener Zeitung". "Es sind meistens Journalisten oder Journalistinnen bzw. Menschen, die in diesem Umfeld arbeiten, also in normalen Zeiten, die das machen. Mit denen geht vieles viel leichter."

Splitterschutzweste Bedingung für Grenzübertritt

Bedingung für die Akkreditierung durch die ukrainische Armee sei, dass man Helm und Schutzweste dabei hat und vorweisen kann. In Lemberg, meint Seifert, "wäre es lächerlich, wenn man da herumläuft mit dem, weil es ist ja Gott sei Dank kein Kriegsgebiet in dem Sinn, sondern tatsächlich eben im Hinterland". Aber die Schutzausrüstung werde verlangt, und das sei auch gut so. Damit solle wohl verhindert werden, "dass plötzlich junge Kollegen in den Zug steigen und Hurra in den Krieg fahren".

Das Theater, die Flüchtlinge und der Pianist

Thomas Seifert berichtet von einem Theater, das von den Schauspielerinnen und Bühnenarbeitern zu einer Unterkunft für Füchtlinge aus den östlichen und südlichen Landesteilen umfunktioniert worden ist. Im Foyer sei ein Musiker am Klavier gesessen und habe gespielt. "Ich glaube, warum viele Kolleginnen und Kollegen sich da hingezogen fühlen zu diesem sehr schwierigen Thema Krieg: weil die Nervenenden roh sind. Es ist einfach eine Sache, wo man so was wie Wahrheit im Gespräch mit Menschen bekommt, weil die Leute haben nichts zu verlieren. Sie haben schon alles verloren. Sie sind sehr ehrlich auch." Denn warum sollte jemand in dieser Lage auch angeben, meint Seifert.

Eine Seilschaft wie beim Aufstieg auf den Glockner

Sehr wichtig, wenn nicht entscheidend, sei der Zusammenhalt der Kriegsberichterstatter untereinander, betont Seifert. "Wir waren zu dritt, haben uns auch die Fixerin, die Daria, geteilt und den Sascha, unseren Fahrer - und hatten einen Telegram-Kanal und haben uns dann immer auch ausgetauscht. Ich will das machen, will wer mitgehen? Einer hilft dem anderen, auch mit Kontakten. Es geht um viel, Fehler kann man sich nicht leisten und ist ein bisschen so: Ich würde auch nicht auf den Großglockner allein gehen. Da hast du gern eine Berggemeinschaft, hängst am Seil und du weißt, wenn du ausrutschst, dann sind zwei andere da, die dich auch vielleicht halten können."

Telegram-App für Luftalarm, Chatgruppen mit Kollegen

Die Telegram-App am Handy ist in der Ukraine nicht nur für den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen wichtig. "Zum Beispiel die Luftalarme kommen auch über Telegram, das heißt wenn man die Sirene überhört aus irgendeinem Grund, dann bekommt man auch so eine Warnung wie dies in vielen Ländern, zum Beispiel in Israel, glaube ich auch ganz normal ist, dass es übers Handy eine Warnung gibt." Es gebe auch eine Facebook-Gruppe, wo sich Journalisten, die in der Ukraine unterwegs sind, austauschen. Und eine Signal-Guppe, wo alle, die in Lemberg unterwegs sind, sich austauschen. "Das ist mittlerweile sehr vernetzt."

Er hat noch eine Schutzausrüstung in Kiew

Die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung gehe so weit, dass man sich auch mit Ausrüstung aushilft. "Mein Helm, meine Schutzweste, die ich dann nicht mehr gebraucht habe, ist zum Beispiel jetzt gerade in Kiew mit einem schottischen Kollegen, der eben das benötigt hat", sagt Seifert. Nach Ostern will er dorthin, wo seine Schutzausrüstung ist. Und von Kiew aus will er dann sondieren, ob es nach Charkiw weitergeht. All das aber nicht um jeden Preis: "Sicherheit first. Denn wenn man die Geschichte nicht mehr heimbringen kann, weil man die Mission nicht überlebt hat, dann hat das ja alles keinen Sinn."

Service

Abschied vom Soldaten Konstantin Derjugin - Reportage aus der Westukraine von Thomas Seifert in der "Wiener Zeitung"

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