Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und der frühere Box-Weltmeister und Bruder des Bürgermeisters von Kiew, Wladimir Klitschko.

APA/HARALD SCHNEIDER

Regierungskommunikation

Fest in der Krise statt krisenfest

Die kommunikativen Herausforderungen für die Bundesregierung werden immer größer. Neben der Pandemie muss die Koalition jetzt mit den Folgen des Kriegs in der Ukraine umgehen, das heißt Teuerung, Energiekrise und Zehntausende Flüchtlinge, die ein Dach über dem Kopf, Unterricht und Arbeit brauchen. Corona-mäßig hat die Krisenkommunikation auf der ganzen Länge versagt, darin sind sich Expertinnen und Experten einig. #doublecheck hat sie gefragt, was jetzt - jenseits von betroffenem Pathos und strammer Militär-Rhetorik - passieren muss, damit das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung nicht komplett entgleitet.

Interviews des Kanzlers mit militärischem Lagebericht, die Verteidigungsministerin versucht, die Schäfchen für das Bundesheer ins Trockene zu bringen. Stellt Budgetforderungen, von denen die Grünen als Koalitionspartner nichts wissen. Business as usual vor Kriegskulisse? Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak sagt dazu: "Es bietet sich an, auch als Ablenkungsmanöver - in Österreich sicher von der verheerenden Krisenkommunikation in Bezug auf die Pandemie, aber auch in Bezug auf den Untersuchungsausschuss zur Korruption und der ÖVP."

Ablenken von schweren Erschütterungen in der ÖVP?

Zum Untersuchungsausschuss kommt die von #doublecheck aufgerollte Inseraten-Affäre in Vorarlberg, die gerade in diesen Tagen durch eine Steuerprüfung beim ÖVP-Wirtschaftsbund sowie Aussagen von Insidern über verdeckte Partei-Finanzierung eskaliert. Und in Wien wird gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wegen Amtsmissbrauchs in seiner Zeit als Innenminister ermittelt.

"Krisenkommunikation mit politischem Spin scheitert"

Doch Ablenkung ist in Zeiten multipler Krisen der falsche Weg. Martin Zechner, Experte für Krisenkommunikation in Graz, sagt: "Wir müssen leider feststellen, dass die Kommunikationspolitik nicht sachbezogen erfolgt, sondern immer einen politischen Spin mitgeliefert bekommt. Und das schwächt die Kommunikations-Beziehung in Richtung Bevölkerung." Wodak ergänzt: "Die Intransparenz ist geblieben und die komplette Un-Nachvollziehbarkeit." Die GECKO-Kommission sei eine vergebene letzte Chance in der Pandemie gewesen, sagen beide. Und was jetzt?

Verdeckte und keine Botschaften statt Offenheit

Größtmögliche Offenheit wäre angesagt, sagt Martin Zechner: "Der Mensch will vor allem in der Krise eine sehr offene Kommunikation ohne verdeckte Botschaften erleben." Verdeckte Botschaften gibt es allerdings zuhauf, wenn etwa Wirtschaftsministerin und Europaministerin ausrücken, um Österreichs unglaubliche Abhängigkeit vom russischen Gas zu relativieren. Und als Deutschland am Mittwoch die Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans ausrief, hoppelte Österreich hinterher. Einen Appell der Energieministerin zum Energiesparen gab es nicht, ihr deutscher Amtskollege machte das sehr wohl.

Die entscheidende Frage ist: Wie raus aus der Krise?

So etwas sei wichtig, sagt Kommunikations-Experte Martin Zechner: "Es ist immer sehr relevant, Menschen Bewältigungs- und Regelmechanismen näherzubringen, da das die Resilienz in derartigen Krisensituationen verstärkt und verbessert." Niemand wolle Passagier in einem großen und unüberschaubaren Szenario sein, die Menschen wollten Handlungsanleitungen für die Krise. Dem stimmt auch die Kommunikationsberaterin Regina Jankowitsch zu. Sie sagt, Fehlerkultur sei wichtig und in Österreich kaum existent. "Das Wichtige ist aber die Aktivität: Wie komme ich aus der Krise raus?"

Eine Schere beim politischen Personal geht auf

Jankowitsch sieht einen Schwachpunkt bei den handelnden Personen: "Die Qualität des politischen Personals ist im Laufe der Jahre nicht besser geworden. Und das ist ein Problem, weil die Rolle und die Aufgaben in der Politik im Vergleichszeitraum komplexer und herausfordernder geworden sind. Das heißt, wir haben eine Schere, die sich hier öffnet." Aber es sei einfacher die Kriegsfolgen zu kommunizieren als ein unsichtbares Virus auf Basis nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse. "Das heißt, im Fall der Energiekrise sehe ich es - trotz des völligen Versagens in der Kommunikation zu Corona - noch nicht dramatisch."

Ohne Transparenz bleibt das Vertrauen weg

Ob Pandemie, Energiekrise oder andere Kriegsfolgen: Die Wahrheit sei nicht nur zumutbar, sie sei unverzichtbar, sagt Ruth Wodak. "Ich denke, dass in der Krisenkommunikation Offenheit, Wahrheit und Transparenz ganz, ganz zentral sind, weil sonst kann man überhaupt kein neues Vertrauen aufbauen", so das Fazit der Sprachwissenschafterin.

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