Illustration von Insekten

ORF/ISABELLE ORSINI-ROSENBERG

Schwerpunkt

Was die Welt am Brummen hält

Die ersten Sendungseinträge zum Insektarium in das Ö1 Lexikon

Das Tagpfauenauge mit seinen blau gefleckten Augen. Der Admiral mit seinen samtig schwarzen Flügeln und der orangen Binde. Der auffällige Bläuling. Sie alle gehören zu den Tagfaltern, um deren Zukunft es schlecht bestellt ist. Die Veränderung des Klimas hat gravierende Auswirkungen auf sie, genauso wie auf viele andere Insektenarten, beobachtet der englische Biologe Dave Goulson: "Seit ich vor 50 Jahren auf dem Schulhof meine ersten Raupen eingesammelt habe, ist die Zahl der Schmetterlinge und Hummeln stetig zurückgegangen - und das gilt für fast jede der unzähligen Insektenartigen, die unsere Welt am Laufen halten. Diese schönen, faszinierenden Wesen sind im Verschwinden begriffen, Ameise um Ameise, Biene um Biene, Tag für Tag", so Dave Goulson in seinem Buch "Stumme Erde" (Hanser Verlag).

Man schätzt, dass jeden Tag 100 Insektenarten aussterben. Während noch immer neue Arten entdeckt werden. In Österreich gibt es circa 40.000 Insektenarten. Wie viele Insekten kennt man schon? Wohl sehr wenige, wenn man bedenkt, dass eine Million Arten beschrieben sind. Schätzungsweise soll es sogar rund fünf Millionen Arten geben. Von den Insekten sind immerhin 12.000 Arten auf der Roten Liste erfasst. Mehr als die Hälfte der Wildbienenarten sind demnach in den vergangenen 100 Jahren verschwunden.

In 27 Jahren 76 % weniger Insekten

Österreich hat zur Artenvielfalt nicht gar so viel beizutragen. Nur 345 Insektenarten gibt es ausschließlich in Österreich, sind also endemisch. Darunter sind vor allem die Insekten, die über der Baumgrenze leben, vom Klimawandel besonders betroffen. Das Umweltbundesamt hat in seiner Studie "Insekten in Österreich" untersucht, wie schnell sich die Entwicklung vollzogen hat.

In den 1990er Jahren gab es erste Anzeichen für ein Insektensterben in einzelnen Ländern wie den Niederlanden. 2010 machten Forscher:innen auf den weltweiten Rückgang von Bestäuberinsekten aufmerksam. 2012 sprachen britische Forscher:innen erstmals von einem "alarming overall decline". Doch das rüttelte noch niemanden wach. Zum weltweiten Thema wurde erst eine Studie aus Krefeld, an der Dave Goulson mitgearbeitet hat. Sie beschrieb 2017 ein umfassendes Insektensterben, damit war klar: Es war kein regionales Problem, das nur auf bestimmte Lebensräume zutraf - es war ein globales Phänomen. Der Entomologische Verein Krefeld sammelte Daten aus 63 Naturschutzgebieten in Deutschland. Das Ergebnis: Die Insektenbiomasse ist in 27 Jahren um 76 Prozent zurückgegangen. Und das nicht auf verwüsteten Ackerfeldern, sondern in Naturschutzgebieten.

Keine umfassende Studie zu Österreich

Die Studie warf die Frage auf, ob Deutschland ein Hotspot des Insektensterbens ist. Studien im Regenwald in Puerto Rico zeigten für tropische Insekten allerdings auch einen Rückgang um 60 Prozent. In Österreich gibt es nur ein punktuelles Monitoring, aber keine umfassenden Studien zum Insektensterben. Die Studie des Umweltbundesamts ortet aber vor allem in Gewässern und Mooren ein massives Insektensterben. Bestseller-Autor Dave Goulson:"Dass Insekten verschwinden, muss jeden von uns betrüben, der diese kleinen Kreaturen um ihrer selbst willen liebt und schätzt. Darüber hinaus ist aber auch das Wohl der gesamten Menschheit bedroht, weil die Insekten unsere Nutzpflanzen bestäuben, Dung, Laub und Leichen kompostieren, den Boden gesund erhalten, Schädlinge in Schach halten und vieles, vieles mehr." (aus "Stumme Erde").

Gerade bei Insekten haben sich Citizen-Science-Projekte bewährt: Wenn interessierte Bürger:innen mit dem Smartphone losziehen und Sichtungen melden. So können zum Beispiel in Tirol Tagfalter beobachtet werden. Die Citizen-Sciencer schlagen auch Alarm, wenn wieder eine neue Insektenart auftaucht. Wie die Asiatische Mörtelbiene. Sie macht sich seit einiger Zeit bei uns breit. Die Asiatische Hornisse wurde auch schon in Europa gesichtet - sie ernährt sich von Honigbienen. Der Klimawandel bringt nämlich auch viele Klimagewinner nach Österreich. Viele anspruchslose "Allerweltsarten", wie die Expert:innen meinen, können sich jetzt ausbreiten. Der Asiatische Marienkäfer kann in Weinbergen große Schäden anrichten und ist eine Bedrohung für die heimischen Siebenpunkt-Marienkäfer.

Mehr Wildblumen & begrünte Dächer

Klimawandel, Pestizide, verschlechterte Wasserqualität, weniger Brachflächen - all das setzt den Insekten zu. Am meisten wird wohl die Gefährdung der Bienen diskutiert. In Großbritannien und den Niederlanden gibt es um 80 Prozent weniger Bienen als noch in den 1980er Jahren. Je spezialisierter die Art, umso dramatischer sind die Bestäuber bedroht. Das gilt auch für Hummeln und andere Wildbienen.

Was der Verlust der Artenvielfalt für das gesamte Ökosystem bedeutet, kann man heute nur erahnen. Die Klimaveränderung wird man nicht mehr stoppen können, umso wichtiger wird es, die Lebensbedingungen der Insekten umfassend zu verbessern: weniger Pestizide, mehr Brachen, mehr blühende Stadtgärten mit Wildblumen, begrünte Dächer und Fassaden. Und warum nicht eine Heuwiese im Garten, die man nur einmal im Jahr mäht? Schon ein Quadratmeter ist ein guter Anfang, sagt Goulson und macht damit jedem/r Gartenbesitzer:in Mut. Und was, wenn in jedem Garten ein kleines Biotop statt einem Pool wäre?

Ö1 Insektenschwerpunkt

Viel effektiver sind natürlich nachhaltige Landwirtschaft, weniger Lichtverschmutzung, und nicht zuletzt wird den Insekten auch das Wissen um ihre unglaubliche Schönheit und Vielfalt nutzen. Dazu will das Insektarium des "Radiokollegs" beitragen, das dauerhaft im Ö1 Lexikon als Podcast abrufbar sein wird. Zum Start des Ö1 Insektenschwerpunkts, "Was die Welt am Brummen hält", bringen die "Radiogeschichten" einen Text über Spinnen vom wohl zu Recht berühmtesten Insektenforscher, Jean-Henri Fabre.

In "Vom Leben der Natur" wird man im Lauf des Jahres auch einiges über Insekten erfahren, zunächst einmal, wie sie überhaupt geordnet werden. Welche Verwandlungen können Insekten vollziehen, und welche Geräusche machen sie? Viele Menschen kommen abseits von Gelsen und Stubenfliegen mit Insekten gar nicht mehr in Berührung. Deshalb wünscht sich nicht nur der Biologe Dave Goulson in seinem Buch "Stumme Erde": "Eine Zukunft, in der Kinder noch mit dem vertrauten Gezirpe der Grillen, dem Zwitschern der Vögel, dem Brummen vorbeifliegender Hummeln, dem Anblick bunt schillernder Schmetterlingsflügel aufwachsen dürften."

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