Radiokolleg - Albanien
Schwierige Schritte aus der Isolation (3). Gestaltung: Tanja Malle
28. November 2012, 09:30
Albanien feiert Ende November sein 100-jähriges Bestehen als eigenständiges Land und dennoch ist die "Republika e Shqipërisë" ein weißer Fleck auf der mentalen Landkarte vieler Europäerinnen und Europäer. Die vergangenen hundert Jahre verliefen für Albanien sehr wechselhaft. Immer wieder wurde das Land von fremden Einflüssen bestimmt bzw. von inneren und äußeren Mächten, die vorwiegend eigene Interessen verfolgten - und zwar auf Kosten der Allgemeinbevölkerung. Im 2. Weltkrieg wird das Land zunächst vom faschistischen Italien und später von den Truppen Nazi-Deutschlands besetzt. Doch weite Teile der Bevölkerung zeigen Eigenverantwortung: Die einen widersetzen sich den Besatzern mit militärischen Mitteln, während die anderen zahlreichen Jüdinnen und Juden, die aus anderen europäischen Ländern nach Albanien geflohen sind, bei sich verstecken und ihnen so das Leben retten. Sogar Albert Einstein ist 1935 über Albanien in die USA emigriert. Albanien ist das einzige europäische Land, in dem nach dem 2. Weltkrieg mehr Jüdinnen und Juden lebten, als davor.
Nach der Machtergreifung des kommunistischen Diktators Enver Hoxha wurden 1946 die Grenzen des Landes geschlossen und Albanien für 45 Jahre in die Isolation gezwungen. Bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur, die sich an Stalin orientierte, waren die albanischen Gefängnisse prall gefüllt - mit Regimegegnern, darunter viele Geistliche, Autoren, Intellektuelle. Jene von ihnen, die überlebt haben, prangern heute, 21 Jahre nach dem Ende des Kommunismus, die Lethargie der Bevölkerung an. Denn diese scheint sich mit den Verhältnissen arrangiert zu haben. Korruption ist Teil des Alltags, an den Schulen, den Universitäten, beim Arzt und beim Wohnungskauf. Dazu kommt die zunehmende Verschmutzung und Verschandelung der einst beeindruckenden Landschaft - nachdem der Norden der Küste schon völlig verbaut bzw. zersiedelt ist, wird nun auch die Südküste Albaniens von Energiegewinnungskonzernen und Müllmafia zerstört.
Lethargie und Korruption betrachten viele politische Beobachter als Folge jener Zeit, in der Albanien durch die kommunistische Diktatur vom Rest der Welt abgeschnitten war. Die Bevölkerung des völlig isolierten Landes lernte ein halbes Jahrhundert lang, staatliche Autoritäten widerspruchslos anzuerkennen und zu versuchen, mithilfe von persönlichen Netzwerken und kleinen Geld- und Sachgeschenken an die Angehörigen des Staatsapparates irgendwie über die Runden zu kommen. Doch im vergangenen Jahr scheint die albanische Zivilgesellschaft ihr grünes Herz entdeckt zu haben - erstmals, so scheint es, könnte es trotz zahlreicher Hürden, einem breiten Bündnis aus NGOs und prominenten Einzelkämpfern gelingen, verantwortungslos agierende Politiker in die Knie zu zwingen und zumindest in Sachen Umweltschutz das Land zu einem Richtungswechsel zu bewegen.