Cornelius Hell

Cornelius Hell - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über Wolfgang Borchert

"Jesus macht nicht mehr mit". Der Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell über den Autor des wichtigsten Theaterstückes der deutschen Nachkriegszeit, anlässlich dessen 100. Geburtstages

"Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.
Warum nicht, fragte der Soldat."

So lautet eine der "Lesebuchgeschichten" des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert. Er war 18 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann, und 24, als er zu Ende war. Dann blieben ihm noch zwei Jahre zum Schreiben, bevor er 1947 starb. Nationalsozialismus und Krieg hatten seine Gesundheit zerstört.

Der Krieg ist vorbei, und alle tun so, als ob nichts gewesen wäre. Der Soldat, der im Krieg gezwungen war zu töten, versteht nicht, warum es jetzt plötzlich ein Verbrechen sein soll, einen anderen totzuschlagen. Diese kurze Geschichte ist Borcherts Protest gegen eine "Normalität", die nicht begreifen will, dass der Krieg alle Normen und Werte zerstört und die Humanität außer Kraft gesetzt hat.

Wir werden nie mehr antreten auf einen Pfiff hin und Jawohl sagen auf ein Gebrüll. Das ist die Lehre, die Wolfgang Borchert aus seinen Erfahrungen als Soldat gezogen hat. Dieser Satz aus seinem "Manifest" ist sehr bekannt geworden - Bürgerrechtler und Dissidenten in der DDR haben sich auf ihn bezogen.

Helm ab Helm ab: - Wir haben verloren! So beginnt Borcherts "Manifest". Das Eingeständnis der Niederlage ist der erste Schritt zu einem Neubeginn. Und das Gedenken an die Toten - in Borcherts Worten: Die Kompanien sind auseinandergelaufen. Die Kompanien, Bataillone, Armeen. Die großen Armeen. Nur die Heere der Toten, die stehn noch. Stehn wie unübersehbare Wälder dunkel, lila, voll Stimmen.

76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs höre ich diese Warnung und verbinde sie mit allen Kriegen, die seither geführt wurden - mit dem Vietnam-Krieg, den Irak-Kriegen, den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien: Geblieben sind vor allem die Toten. Wolfgang Borcherts Manifest schreit es heraus: Es braucht Widerstand, es braucht die Warnung der Toten, es braucht eine neue Sprache und eine neue Kunst, damit das Lebensrecht eines jeden Menschen wieder an erster Stelle steht.

Service

Michael Töteberg (Hg.), "Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk", Rowohlt Verlag
Wolfgang Borchert, "Draußen vor der Tür und andere Werke", Verlag Reclam
Wolfgang Borchert, "Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen", Verlag Rowohlt
Peter Rühmkorf (Hg.), "Wolfgang Borchert. Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlass", Verlag Rowohlt
Gordon J. A. Burgess (Hg.) und Michael Töteberg (Hg.), "Wolfgang Borchert. Allein mit meinem Schatten und dem Mond", Verlag Rowohlt
Gordon Burgess, "Ich glaube an mein Glück. Eine Biographie", Aufbau Taschenbuchverlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Sidney Bechet/1897 - 1959
Album: JAZZ CAFE - FOR LOVERS
Titel: Petite fleur/instr.
Solist/Solistin: Sidney Bechet /Saxophon m.Begl.
Länge: 03:16 min
Label: RCA 1214492

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