Friedericke Mayröcker

APA/ROLAND SCHLAGER

Doku über Friederike Mayröcker

Das Schreiben und das Schweigen

Friederike Mayröcker gilt als eine der ganz großen, gleichzeitig aber unzugänglichsten Dichterpersönlichkeiten Österreichs. Carmen Tartarotti ist es geglückt, einen Film über sie zu drehen. Herausgekommen ist ein gleichzeitig einfühlsames wie ausdrucksstarkes Porträt der Schriftstellerin.

Schon vor zwanzig Jahren hat Carmen Tartarotti einen Film über Friederike Mayröcker gedreht. Dadurch bestand ein Vertrauensverhältnis zwischen der Filmemacherin und der Dichterin. Einschränkungen gab es dennoch zur Genüge, erzählt Carmen Tartarotti:

"Diese Auflagen betrafen die Befindlichkeit, den hohen Blutdruck, die fragile Zimmerarchitektur, die Schreibarbeit, die nicht gestört werden will, das Zeitlimit von höchstens zwei Stunden am Tag und das auch nicht jede Woche, das Drehen ohne künstliches Licht und ohne technischen Aufwand."

Die Zettel-Lotterie

Was die Filmemacherin euphemistisch "fragile Zimmerarchitektur" nennt, ist ein hochkomplexes Chaos aus Papierstapeln und in Körben gelagerten Aufzeichnungen, die Tische, Regale und den Fußboden bedecken - Rohmaterial, auf das die Dichterin jederzeit zugreifen können muss.

"Ich grabe ja immer so und ziehe dann so heraus, wie bei der Lotterie", erzählt Mayröcker im Film über ihre Arbeitsweise. Eingriffe in dieses kreative Chaos waren nicht möglich. Die räumliche Enge ließ aber die Arbeit im Team nicht zu, was auch im Film thematisiert wird: "Ein Team kann ich hier nicht aushalten. Bei dieser Enge ein Team, das ist nicht zu machen."

Zusammengesetzte Bild- und Tonfragmente

Carmen Tartarotti war damit über weite Strecken auf sich allein gestellt. Sie entschloss sich daraufhin für eine höchst unkonventionelle Arbeitsweise: "Ich habe ganz bewusst zu Beginn die Entscheidung getroffen, Bild und Ton zu trennen. Und auch von der Aufnahmesituation her, war es nur möglich unzusammenhängende Bild- und Tonfragmente einzusammeln. Deshalb war ich dann auch intensiv mit dem Zusammensetzen dieser Bruchstücke beschäftigt."

Tartarotti bedrängte die Dichterin nicht mit Fragen, setzte ihr nicht bestimmte Gesprächsthemen vor und bohrte auch nicht nach. Stattdessen nahm sie die Position der stillen Beobachterin ein. Carmen Tartarotti: "Es war mir ganz wichtig, dass das Sprechen der Mayröcker kein Antworten auf Fragen und auch nicht wie eine Stellungnahme zu einem Thema ist, sondern so, als ob sie ganz beiläufig und unerwartet ihre Gedanken zum Ausdruck bringen würde und ich habe das Ganze zu einem Monolog zusammengesetzt, der wie ein Innengespräch wirkt."

So erzählt Friederike Mayröcker im Film: "Das ist eine so intime Sache, das Schreiben, dass ich selber schon zu viel bin dabei."

Inspirierende Regenwolken

Auch wenn sie im Prozess des Schreibens nicht beobachtet werden will, gibt Mayröcker doch bedeutsame Einblicke. Sie erläutert ihre Arbeitsweise, spricht über ihren Lebensmenschen, den vor zehn Jahren verstorbenen Ernst Jandl, und erzählt von der Bedeutung, die das Wetter auf ihr Schreiben hat: "Ich brauche dringendst Regenwetter. Also bei Regenwetter geht alles viel besser. Oder wenigstens so ein dunkler Himmel, so ein bedeckter Himmel. Das ist so schön, wenn es tröpfelt."

Über zwei Jahre hinweg hat Carmen Tartarotti Friederike Mayröcker begleitet. Und sie erreicht in ihrem Porträt eine Nähe und Unmittelbarkeit, die dem Zuschauer das Gefühl gibt, höchstpersönlich in die geheimnisvolle Welt der Dichterin eingelassen worden zu sein. "Das Schreiben und das Schweigen" - eine dringende Empfehlung für Literaturliebhaber und alle, die es noch werden wollen.