Regierung einigt sich mit Konzernen

D: Längere Laufzeiten für AKW

In Deutschland ist die Zukunft der Atomkraftwerke nach monatelangen Diskussionen jetzt besiegelt - zumindest aus Sicht der Regierung. Im Schnitt sollen die Atomkraftwerke 12 Jahre länger als geplant am Netz bleiben. Im Gegenzug sollen die Stromkonzerne auch für den Ausbau von Öko-Strom zahlen.

Morgenjournal, 06.09.2010

Einigung erfolgte in der Nacht,

2030 statt 2022

Bis spät in die Nacht hinein wurde verhandelt, dann lag der Kompromiss vor. Es wird zwei Klassen von deutschen Atomkraftwerken geben. Die älteren bekommen einen Zuschlag von maximal acht Jahren zusätzlicher Laufzeiten, bei den neuen sollen es bis zu vierzehn Jahre sein. Damit wird der Ausstieg aus der Atomtechnik, der unter der früheren rot- grünen- Regierung für das Jahr 2022 angepeilt war, wesentlich weiter hinausgezögert.

Im Gegenzug müssen die Betreiberfirmen der Atomkraftwerke hohe Zahlungen in die Staatskasse leisten. Sie müssen eine Brennelementesteuer zahlen, 2,3 Milliarden Euro im Jahr, sechs Jahre lang von nächsten Jahr an. Uns zusätzlich müssen sie auch noch einen Zuschlag drauflegen, der für ökologische Energieformen gedacht ist, anfangs 200, später 300 Millionen Euro kommen später jährlich dazu.

Opposition schäumt

Wie bindend das alles ist, das kommt ganz auf die Regierungsformen der nächsten Jahre an. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat gemeint, sollte seine Partei wieder ans Ruder kommen, werde das alles wieder zurückgenommen. Und Claudia Roth, die Chefin der Grünen, spricht von einer kommenden Protestwelle.
Auch parlamentarisch wollen die Opposition gegen die längeren Atomkraftwerks-Laufzeiten ankämpfen, aber noch ist nicht sicher, ob sie ihren stärkeren Einfluss im Bundesrat zu diesem Zweck ins Spiel bringen können.

Streit in Verlängerung

Der Streit zwischen Regierung und Opposition über diesen Kompromiss wird noch lange anhalten, und eine Protestbewegung formiert sich schon auf breiter Basis. Nach früheren Plänen hätte Deutschland um das Jahr 2022 aus der Atomkraftnutzung aussteigen sollen, jetzt wird dieses Datum weit in die Zukunft geschoben, die deutschen Atomkraftwerke sollen im Durchschnitt rund 12 Jahre länger laufen dürfen als ursprünglich geplant.

Mittagsjournal, 06.09.2010

Protest formiert sich, aus Deutschland Peter Fritz

Merkel lobt Einigung

Der erste Kommentar der Bundeskanzlerin zum regierungsinternen Atomkompromiss erschien vollkommen frei von Selbstzweifeln. Angela Merkel lobte die Einigung beim nächtlichen Regierungsgipfel mit großen Worten. Vor allem die Tatsache, dass die Atomstromkonzerne jetzt zusätzliches Geld zahlen müssen, um die ökologische Energieversorgung zu fördern, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, denn das sei, so sagt sie, ein zukunftweisender Schritt. Angepeilt sei, bis zum Jahr 2050 80 Prozent der deutschen Energieversorgung aus ökologischen Quellen zu sichern.

AKW-Betreiber müssen zahlen

Die Ökoabgabe der Kernkraftwerksbetreiber, die jetzt laufend fließen soll, zunächst 300 Millionen Euro pro Jahr, später dann 200, kommt noch dazu zur neuen Brennelementesteuer, die mit 2,3 Milliarden im Jahr für die nächsten sechs Jahre kalkuliert wird. Beides zusammen ist der Preis dafür, dass die deutschen Atomkraftwerke jetzt wesentlich länger laufen dürfen also ursprünglich angepeilt. Ein Atomausstieg im Jahr 2022 war der früheren rot- grünen Koalition ursprünglich vorgeschwebt, jetzt soll es bis zum Ausstieg westlich länger dauern, ja nachdem wie sich die mühsam errechnete Formeln voller Jahreszahlen- und Megawattstunden in der Praxis auswirken. Grundsätzlich bekommen ältere Kernkraftwerke acht Jahre mehr an Laufzeit, jüngere 14 Jahre.

SPD: Eingeknickt

Die Oppositionsparteien protestieren heftig, Renate Künast von den Grünen spricht von einem Judasgeld, das die Stromkonzerne jetzt zahlen müssten, es werde den ökologischen Ausbau der Energieversorgung nicht fördern, sondern behindern.

Und SPD-Chef Sigmar Gabriel wirft der Regierung vor, vor den Interessen der Kraftwerksbetreiber eingeknickt zu sein. Sollte die SPD wieder ans Ruder kommen, würde sie die Verlängerung der Atomkraftwerks- Laufzeiten wieder rückgängig machen, meint Parteichef Gabriel.

Thema bleibt heiß

Ob der neue Atomkompromiss jetzt für die Regierung leicht durchzubringen ist, das hängt von rechtlichen Feinheiten ab. Denn in der zweiten Parlamentskammer, dem Bundesrat, haben die Oppositionsparteien mehr Einfluss. Aber die Regierung ist der Ansicht, dass der Bundesrat in diesem Fall gar nicht gefragt werden müsse. Vermutlich kommt der Streit darüber, wer welchen parlamentarischen Einfluss ausüben kann vor das Bundesverfassungsgericht. Das Thema Atomkraft wird daher Deutschlands Regierende trotz des Kompromisses der letzten Nacht noch erheblich länger beschäftigen als gewünscht.