Künstler-Diskussion um "Street View"
Wie böse ist Google?
Der Internetdienst Google Street View darf nächstes Jahr in Österreich starten. Doch nicht jeder Hausbesitzer will, dass sein Haus zur Ansicht ins Internet gestellt wird - schon weil dies Einbrechern die Verbrechensplanung erleichtert.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 10.09.2010
Google hat sich auch mit anderen Geschäftszweigen wiederholt Kritik zugezogen. Vorige Woche hat Konzernchef Eric Schmidt auf der internationalen Funkausstellung in Berlin mit einer Rede Sympathiewerbung gemacht. Der Computer helfe, die Menschen glücklicher zu machen, meinte Schmidt. Google-Skeptiker sehen in dem Konzern hingegen eine skrupellose Geldmaschine.
Dorothee Frank hat Kunstschaffende, auch im Umfeld der Linzer Ars Electronica, befragt. Was halten sie von Google Street View - und wie könnten wir generell mit dem unersättlichen Datenappetit von Google umgehen?
Wien schon online - die Konkurrenz war schneller
Die ganze Welt in 3D online, die kleinste Gasse per Mausklick virtuell erwanderbar: Der Trend ist nicht mehr aufzuhalten. Vor einer Woche hat in Österreich die Datenschutzkommission Grünlicht für Google Street View gegeben. Ab 2011 sollen zunächst die größeren Städte online gestellt werden. Der Witz ist nur: Sie sind schon online. Der rumänische Anbieter Norc hat ebenfalls in EU-Ländern fotografiert. Auf der Norc-Website finden Sie beispielsweise jedes Wiener Haus zur Ansicht - und zwar ohne dass, wie bei Google, die Gesichter und Autonummern digital verwischt sind.
Die deutsche Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh hat gemeinsam mit Ilija Trojanow das überwachungskritische Buch "Angriff auf die Freiheit" geschrieben. Juli Zeh ist nicht grundsätzlich gegen Dienste wie Google Street View. Aber sie möchte nicht, dass ihr Haus am Land im Web gezeigt wird, ohne dass man sie um Erlaubnis fragt: "Deswegen finde ich es ganz wichtig, dass wir die Diskussion darüber führen - und dass nicht einfach eine Firma kommt und das quasi ungefragt macht." Google musste ja auf öffentlichen Druck die Möglichkeit einräumen, dass Häuser unkenntlich gemacht werden, wenn die Hausbesitzer dies beantragen.
Mittagsjournal, 10.09.2010
Street View relativ harmlos
Keinerlei Vorbehalte gegen Google Street View hat LizVlx vom Digitalkunst-Duo übermorgen.com: "Ich kann mir das Hotel, das ich buchen will, im Vorhinein ansehen. Ich reise mit einem ganz anderen Gefühl hin, wenn ich den Ort schon vorher aus der 'echten' Street-View-Perspektive gesehen habe - für den einzelnen ist es natürlich nur praktisch."
Doch könnte uns Google Street View nicht endgültig den Spaß am Erkunden unbekannter Orte nehmen, ohne elektonische Erweiterung der Sinne? "Den Sinnen zu folgen, macht total Sinn draußen am Land, in der Natur. Aber in einer Stadt, die vollkommen vernetzt ist - das ist ja keine natürliche Umgebung. Wenn ich mich da verhalte wie ein natürlicher Hillbilly sozusagen - von dem romantischen Gedanken sollte man sich verabschieden, der ist schon lange nicht mehr valide", so LizVlx.
Und inwieweit verletzt Google Street View den Datenschutz, etwa wenn man von der vorbeifahrenden Kamera zufällig an seinem Fenster fotografiert wird? Eine Einschätzung von Erich Möchel - Autor, Netzkunstaktivist und ORF-Futurezone-Redakteur: "Ich glaube, dass Google Street View bei weitem nicht das Gefährlichste ist. Ich halte andere Vorgangsweisen von Google für wesentlich bedenklicher."
Google speichert Interessensprofile der User
Google speichert, welche Suchanfragen von welchem Computer aus getätigt werden. Daraus wird ein Interessensprofil der betreffenden Nutzer erstellt - damit wir nur die zu uns passende Werbung auf den Bildschirm bekommen. Zweitens hat das mit dem Nutzerprofil den Effekt, dass Google die jeweiligen Suchergebnisse so reiht, wie es unseren Interessen entspricht, jedenfalls laut Berechnung der Suchmaschine. Das bedeutet: Wir erhalten je individuell verzerrte Suchergebnisse.
Wer nicht als Persönlichkeitsprofil auf den Servern von Google landen will, kann etwas dagegen tun - und zwar ohne ganz auf Google zu verzichten.
Rat: Auch andere Suchmaschinen nützen
"Es ist überhaupt nicht vorgeschrieben, für jede Suchanfrage Google zu verwenden - es gibt ungefähr 15 bis 20 konkurrierende Search Engines - verteilen Sie ihre Daten! Geben Sie niemals alles einem! Das ist der beste Datenschutz".
Den meisten Gewohnheits-Googlern mag das zu unbequem sein. Und der großzügige Speicherplatz eines Google Mail-Accounts ist vielen lieb geworden - was macht es da schon, dass Google die Mails seiner User nach Schlüsselwörtern scannt und auswertet. Macht nichts, ich hab ja nichts zu verbergen, sagen viele. Der Einwand, ein autoritäres Regime könne mit Googles gesammelten Daten alles machen - dieser Einwand verpufft erfahrungsgemäß.
Juli Zeh kann sich erklären, warum: "Die Leute glauben seit Jahrzehnten felsenfest an die Demokratie, und die glauben, dass sich das nie wieder ändern wird! Und wenn man das glaubt, dann hält man es auch für vollkommen absurd, dass sich irgendwann wieder autoritäre Strukturen einschleichen könnten; ich find's dann trotzdem immer ein bisschen erschreckend, dass die Leute nicht verstehen, dass man Demokratie stündlich und täglich verteidigen muss!"
Kristallisation moderner Weltsicht
Phänomene wie Google enthüllen viel von der zeitgenössischen Haltung zur Welt. Das fasziniert den kanadischen Künstler Jon Rafman an. Für seine Videos und Bildfolgen holt er sich Ansichten aus Google Street View. Man glaubt nicht, was für dramatische, stimmungsgeladene Fotos die Kameras auf den Google-Autos manchmal einfangen - obwohl diese Kameras komplett neutral aufnehmen, ohne menschliches Auge dahinter. In diesem Widerspruch kristallisiert sich für Jon Rafman unsere Sicht der Welt, wie sie sich im Lauf der Neuzeit entwickelt hat.
"Wir empfinden die Umwelt als ein indifferentes Wesen, das uns anblickt", so der Künstler. "In großen Städten begegnen wir ja zufälligen Passanten auch gleichgültig - wir sehen sie wie die verwischten Gesichter in Google Street View. Gleichzeitig haben wir den Eindruck, dass die Realität aus sich selbst heraus neutral ist, und erst wir ihr bestimmte Bedeutungen verleihen."
Eine Arbeit von Jon Rafman ist noch bis Samstag auf der Linzer Ars Electronica zu sehen - und permanent auf seiner Website.
Das Ö1 Kulturjournal widmet sich in einer Spezialausgabe des Themas.
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Jon Rafman - 9eyes.tumblr