Nobelpreisträger für Konjunkturprogramme

Stiglitz: Sorge über Sparkurs und Tempo

Der US-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz fordert im Ö1 Interview neue Konjunkturprogramme in den USA, aber auch in Europa. Ohne diese Programme wäre die Rezession viel schlimmer ausgefallen, ist Stiglitz überzeugt. Den harten Sparkurs, den Europa fährt, sieht Stiglitz mit wachsender Sorge.

"Keine Erholung ohne Wachstum"

Die europäischen Politiker seien zu langsam mit der Umsetzung ihrer Beschlüsse, kritisiert Stiglitz. Es bestehe ein Widerspruch zwischen Ankündigungen und Taten. Doch ohne Wachstum könne sich weder Griechenland erholen, noch würden die Probleme in der Eurozone aufhören. Besondere Sorgen bereitet der Umstand, dass die nötige Solidarität fehlt und die Probleme eher zu einer Spaltung Europas führen. Das sagt der US-Top-Ökonom Joseph E. Stiglitz. Er lehrt derzeit Volkswirtschaft an der Columbia University. Barbara Herbst hat ihn bei der Herbsttagung des Währungsfonds in Washington getroffen.

Mittagsjournal, 22.09.2011

US-Ökonom Joseph E. Stiglitz im Interview mit Barbara Herbst

Herr Stiglitz, wird der Euro überleben?
Es ist nicht sicher. Alles hängt davon ab, was die führenden Politiker jetzt tun, nicht nur davon, was sie sagen. Die Stärkung des Euroschutzschirmes im Juli war grundsätzlich ein sehr guter Schritt. Aber sie sind sehr langsam in der Umsetzung der Gipfelbeschlüsse. Die Frage ist, werden sie in der Lage sein, schnell genug zu handeln.

Im Moment sieht es nicht nach einer raschen Reaktion der europäischen Politiker aus?
Das ist auch die Quelle der Sorgen. Im Juli haben sie noch betont, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen können wird, wenn die Wirtschaft nicht wieder wächst. Und jetzt stellt sich heraus, dass die griechische Wirtschaft schrumpft. Aber Geld dafür haben sie noch nicht hergegeben, oder andere Formen der Unterstützung von Unternehmen. Es gibt also einen Widerspruch zwischen ihren Worten im Juli und ihren Worten jetzt.

Herr Stigliltz, Sie trommeln schon immer gegen das Sparen. Aber woher sollen die hochverschuldeten Staaten denn jetzt das Geld für milliardenschwere Konjunkturpakete hernehmen?
Das stimmt. Aber wir haben gesehen was passiert, wenn zu viel gespart wird - in Griechenland, in Lettland, in Irland. Das Wachstum geht nicht nur ein bisschen zurück, es fällt ins Bodenlose. Das macht mir große Sorgen, besonders wenn auf beiden Seiten des Atlantiks ein harter Sparkurs eingeschlagen wird.


China hat sich bereits als Helfer in der Not angeboten. Soll man die Rettung des Euro den Chinesen überlassen?
Es muss im Interesse aller stehen, dass die Finanzsysteme überall auf der Welt stabil sind. Die Frage ist, wird China oder soll China das Geld bereit stellen, das Europa braucht. Es ist glaube ich klar, dass China das nicht tun sollte. Europa muss Verantwortung übernehmen, das ist eine große Aufgabe. Europa sollte seine soziale Verantwortung nicht anderen überlassen.

Das ist ein wunder Punkt. Den Sie da ansprechen. In Europa wollen immer weniger Menschen für Griechenland oder einen anderen Schuldenstaat zahlen.
Das stimmt, auch das bereitet uns Sorgen. Die Vorstellung, dass eine Währung stabil ist in einem Umfeld, das unsolidarisch ist. Diese Sorgen gab es von Anfang an, schon bei der Gründung des Euro, und sie haben sich bis heute gehalten. Die Hoffnung war, dass die Solidarität stark genug sein würde, dass sich die Institutionen weiterentwickeln würden, und dass die bloße Existenz des Euro für mehr Solidarität sorgen würde. Die Ironie ist, dass die aktuellen Probleme alle Bemühungen gemeinschaftlichen Handelns unterwandert haben. Sie spalten Europa, eine sehr ernsthafte Entzweiung, und bis jetzt gibt es keine Antwort mit Institutionen, die sie brauchen.