Politologe: "Verschließt Augen vor Krise"

Kritik an Putins Wahlprogramm

Russlands Regierungschef Wladimir Putin steigt in den Wahlkampf ein, den er pro forma ja doch führt: dass er Präsident wird, daran zweifelt er nicht. Im März will er sich zum dritten Mal wählen lassen. Sein Wahlprogramm stößt bei politischen Beobachtern auf Kritik. Es sei unverbindlich und enthalte wenig Neues, sagt der Politologe Boris Makarenko.

Mittagsjournal, 13.01.2012

Aus Moskau,

Putin verleugnet Krise

Das Wahlprogramm des Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin wäre noch vor zwei Monaten in Ordnung gewesen, meint der Politologe Boris Makarenko. Doch seit dem von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlsieg von Putins Regierungspartei Anfang Dezember sei es hoffnungslos veraltet:

"Putin tue so, als ob es die jüngsten Massenproteste nicht gegeben hätte", sagt Makarenko. Dabei hat die Staatsmacht längst erkannt, dass das politische System reformiert werden müsse und erste Gesetzesprojekte lanciert. Nun stelle sich die Frage, ob Putin als nächster Präsident überhaupt hinter diese schon eingeleiteten Reformen stehe oder sie wieder rückgängig mache.

Kein politischer Wettbewerb in Russland

Tatsächlich haben sowohl Regierungschef Putin als auch Präsident Medwedew nach den umstrittenen Parlamentswahlen angekündigt, dass künftig mehr politischer Wettbewerb im Land herrschen solle. Unter anderem sollen neue Parteien einfacher gegründet werden können. Dass Putin darauf in seinem Wahlprogramm überhaupt nicht mehr eingehe, zeige, dass er die aktuelle politische Krise in Russland nicht sehen wolle, sagt der Politologe Boris Makarenko:

"Putin verhält sich so wie kleine Kinder, die glauben, etwas Unangenehmes gehe weg, wenn sie sich die Augen zuhalten und es nicht mehr sehen. Doch die Krise ist da, ob sie Putin nun anspricht oder nicht. Er wird darauf reagieren müssen."

"Viele schöne Worte, aber keine Fakten"

Putin sei ein zu erfahrener Politiker, um die Unzufriedenheit in großen Teilen der Gesellschaft nicht zu erkennen, meint Makarenko. Doch niemand wisse, welche Antwort er als nächster Präsident darauf geben wolle, auch nach Veröffentlichung seines Programmes nicht.

"Es sind viele schöne Worte drin, Freiheit, Würde, Eigeninitiative, all dies ist da. Auch der Kampf gegen die Korruption. Putin gesteht damit auch eigene Fehler ein. Doch es gibt nichts Konkretes, keine Zahlen und Fakten, auf die man ihn später festnageln könnte. Und kein Wort über faire Wahlen und unabhängige Gerichte, wie sie so viele fordern."

Wahlen schon im Vorhinein entschieden

Eines stehe fest, so Makarenko, Putin werde die Wahl Anfang März gewinnen, auch ohne Manipulation. Ein großer Teil der Bevölkerung unterstütze ihn nach wie vor, auch wenn seine Beliebtheitswerte zuletzt gesunken seien. Dennoch, schränkt Makarenko ein, Putins Legitimität werde angekratzt sein:

"Die vielen Menschen, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, protestieren nicht nur gegen die konkreten Fälschungen bei den Parlamentswahlen. Sie kritisieren, dass Wahlen schon im Vorhinein entschieden werden."

Politischer Stillstand vorprogrammiert

Seit Putin im September angekündigt hat, dass er mit Präsident Medwedew den Platz tauschen will, ist allen klar, dass man mit Wahlen keine politische Veränderung herbeiführen kann. Daher wird Putin zwar ein legal gewählter Präsident sein, so der Politologe Boris Makarenko, aber ein nicht völlig legitimer.

Und so wird die Wahlkampfzeit für Putin weiterhin turbulent bleiben. Regierungskritiker und Oppositionelle rufen bereits zur nächsten Massendemonstration gegen Putin auf - sie findet am vierten Februar statt, genau einen Monat vor der Präsidentschaftswahl.