Pendlerpauschale: Heftige Expertenkritik
Die aktuellen Reformideen zur Pendlerpauschale sind nach Ansicht des Umweltökonomen Stefan Schleicher in verkehrspolitischer Hinsicht kontraproduktiv. Schleicher fordert eine Einkommensobergrenze für die Pendlerförderung sowie einen Bonus für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.11.2012
Der Klimaschutzexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts und Ökonomieprofessor an der Uni Graz, Stefan Schleicher, im Gespräch mit Andrea Maiwald
Neues Mobilitätskonzept
Schleicher ortet in der Pendlerpauschale-Reform ein "Relikt von Verkehrsverständnis", während man sich allgemein in die Richtung eines neuen Mobilitätssystem emanzipiere. Der Experte vergleicht die vorliegenden Konzepte mit einem veralteten Auto, das man mit ein paar Schweißnähten noch einige Zeit fahrtüchtig halten will. Statt dessen sollte dieses Fahrzeug entsorgt und ein neues Mobilitätskonzept für die gesamte Gesellschaft entwickelt werden.
"Welche verkehrspolitische Zielsetzung ist mit diesem Reformvorschlag verbunden?", fragt Schleicher, der kaum Anreize in ökologischer Hinsicht erkennen kann. Derzeit würden Autos in Privatbesitz eindeutig bevorzugt, aber eigentlich sollte jedes Verkehrsmittel gleich behandelt werden, fordert Schleicher als Grundposition für eine Reform der Pendlerpauschale.
Zersiedelung wird gefördert
Relevant für die Höhe der Pendlerpauschale sollte nur die Distanz zum Wohnort sein, so Schleicher. Dazu sollte es eine einkommensabhängige Komponente geben, allerdings in der Form, dass die Pendlerförderung ab einem bestimmten Einkommen eingestellt wird. Derzeit ist es ja gerade umgekehrt, kritisiert der Ökonom: "Dass niedrige Einkommen de facto von der Förderung ausgeschlossen werden, muss zweifellos beseitigt werden." Aber auch die geplante Reform, die weiterhin Steuerabsetz- oder -freibeträge vorsieht, "ist sicher kontraproduktiv". Damit werde die Tendenz zur Zersiedelung in Österreich weiterhin verstärkt.
Öffi-Bonus
Außerdem müsste diese Förderung vereinfacht und transparenter werden. Die Bemessungsgrundlage sollte ausschließlich die Distanz zwischen Arbeits- und Wohnort sein. Dabei sollte es eine nicht einkommensabhängige Transferleistung geben, also weder Steuerfrei- noch Absetzbetrag. Diese Leistung sollte aber einkommenslimitiert sein. Und für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sollte es einen Bonus geben, so Schleicher.
Würde das Konzept konsequent umgesetzt, kämen auch neue Anforderungen auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu: Schon jetzt erlebe man in Wien einen Testfall mit der Ausweitung der Parkpickerlzonen, wo eine verstärkte Nutzung der Öffis bemerkbar sei und es auch zu Engpässen komme, so Schleicher. Und außerhalb der Ballungsräume müsste für den öffentlichen Verkehr viel mehr getan werden.
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WIFO Stefan Schleicher