"Krim ist russisch - Ukraine stabilisieren"
Russland hat sich die Krim einverleibt, innerhalb kürzester Zeit hat Russlands Präsident Wladimir Putin den Anschluss dieses Teils der Ukraine an Russland vollzogen. Damit muss sich die internationale Staatengemeinschaft abfinden, meint der angesehene Diplomat Wolfgang Ischinger im Ö1 Interview. Jetzt müsse man sich um eine stabile Ukraine bemühen, so Ischinger.
8. April 2017, 21:58
(c) Shvarts, EPA
Mittagsjournal, 22.3.2014
Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, "Im Journal zu Gast" bei Peter Fritz.
"Fast eine Art Panik"
Die internationale Gemeinschaft und auch die Ukraine muss sich offenbar mit dem Anschluss der Krim an Russland abfinden. Ischinger im Ö1 Mittagsjournal: "Die Krim ist jetzt russisch, und es ist nicht erkennbar, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird. In der internationalen Politik währt nichts ewig, aber wir müssen davon ausgehen, dass hier ein Fakt gesetzt worden ist."
Ängste vor einer russischen Intervention in der Ostukraine und im Baltikum versteht Ischinger zwar, aber aus seiner Sicht war das russische Vorgehen bei der Krim kein Zeichen der Stärke, sondern eher ein Akt der Verzweiflung. Denn Russland füge sich damit mittel- und langfristig mehr Schaden zu als es noch so gut ausgeklügelte Sanktionen jemals schaffen könnten. Man dürfe Putin zwar nicht unterstellen, dass er Entscheidungen nicht rational treffe, den Eindruck eines "wohldurchdachten Masterplans" hat Ischinger aber auch nicht: "Der Eindruck war, dass man fast in einer Art Panik reagierte, als man sah, dass die russischen Felle in der Ukraine davonschwammen, mit der Flucht des ukrainischen Präsidenten, auf den man bis dahin in Moskau offensichtlich gesetzt hatte."
Ukraine stabilisieren
Die internationale Gemeinschaft dürfe daher keine Strategie verfolgen, wie man Russland am besten bestrafen könnte, so Ischinger. Vielmehr sollte eine Strategie der Stabilisierung gegenüber der Ukraine verfolgt werden. Wenn diese gelinge, dann habe Putin tatsächlich eine Niederlage erlitten. Aber die Entscheidung, welcher Gemeinschaft sie angehören will - der EU oder der russischen Föderation - müsse die ukrainische Bevölkerung ohne äußere Einflüsse selbstständig fällen. Bisher seien von westlicher Seite wohl Fehler gemacht worden, aber das dürfe nicht bedeuten, dass man von russischer Seite das Völkerrecht bricht. Bei den Sanktionen gehe es nicht darum, Russland niederzuringen, sondern Moskau geschlossen eine rote Linie zu zeigen, dass man Völkerrechtsverletzungen nicht akzeptiere.
Das ukrainische Parlament müsse nun ermutigt werden, so rasch wie möglich Wahlen mit internationaler Beobachtung abzuhalten. Es brauche eine von allen Seiten nicht anfechtbare Legitimität der ukrainischen Regierung. "Und hoffentlich lässt sich hier eine stabile Mehrheit bilden, ohne rechtsextreme Kräfte, die nicht in das Europa von heute und morgen passen."
Einer der größten Fehler des Westens, so Ischinger: Man habe die "geostrategischen Aspekte" nicht bedacht, nämlich, dass die Ukraine der vielleicht wichtigste Nachbar Russlands ist, und hätte früher vertrauensbildende Gespräche führen müssen. Schließlich wolle man nicht historisch gewachsene Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland kappen.
Neue Kriegsgefahr in Europa?
Kommt nun eine neue Konfrontation der Machtblöcke? Jedenfalls kein neuer Kalter Krieg, versichert Ischinger. Damals haben man sich gegenseitig mit Totalvernichtung bedroht. Von einer solchen "tödlichen Systemkonkurrenz" sei jetzt nicht die Rede. Es gebe aber eine erhebliche Abkühlung der Beziehungen. Immerhin - im Vergleich zu 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs - sieht der Diplomat eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs in Europa - nicht nur wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen, sondern auch weil sich die Kultur geändert habe. Damals sei in den Köpfen der Herrschenden die Ansicht verbreitet gewesen, dass man sich mit militärischen Mitteln Gehör verschafft. "Das, erfreulicherweise, ist hier ja nicht der Fall."
Der Diplomat Wolfgang Ischinger ist Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, eines wichtigen Gesprächsforums über internationale strategische Fragen. Er war enger Mitarbeiter des deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher während der Ereignisse, die zum Fall der Berliner Mauer und zur deutschen Vereinigung führten. Später war er als deutscher Botschafter in Washington und London aktiv.