Ostukraine: Die Zukunftspläne der neuen "Volksrepubliken"

Während Kiew, die EU und die USA das Unabhängigkeitsreferendum in der Ostukraine nicht anerkennen, gehen die prorussischen Kräfte in den Kreisen Lugansk und Donezk nun daran, ihren eigenen Staat aufzubauen. Führende Vertreter der "Donezkaja Narodna Republika" (Volksrepublik von Donezk) haben bereits grundlegende Vorstellungen. So will man mit Lugansk auch über ein gemeinsames Staatsgebilde verhandeln.

Denis Puschilin

(c) Shipenkov, EPA

Mittagsjournal, 13.5.2014

Aus Donezk berichtet

"Demokratie ohne Präsident"

Schwarz-blau-rot mit einem silbernen Doppeladler – das ist die Flagge der Volksrepublik von Donezk. Nach dem Willen ihrer Schöpfer soll dieser Staat eine parlamentarische Demokratie ohne Staatspräsident sein. Viele Fragen des Staatsaufbaus müssen noch definiert werden. Zu den vorrangigen Aufgaben zählt das Mitglied des Präsidiums dieser Volksrepublik, Boris Litwinow, folgende Schritte: "Was wir sofort vorbereiten müssen, ist ein verfassungsgebendes Dokument. Das ist noch keine Verfassung, doch darin muss der grundlegende Staatsaufbau definiert werden. Dazu zählen auch alle Organe des Staates. Zweitens müssen wir die Gesetze zur Wahl des Parlaments und der Gemeinderäte vorbereiten."

Diese Wahlen sind für September geplant. Beim Aufbau des Staates will Litwinow auf bisherige Abgeordnete des Kreisparlaments, vor allem aber auf Experten zurückgreifen, die es an den Universitäten gibt. Denn viele Vertreter der intellektuellen Eliten würden nun ihre abwartende Haltung aufgeben.

Föderation mit neuen Grenzen

Als Beispiel nennt Litwinow den Aufbau der Staatsgrenze, der im Falle von Donezk und Lugansk viel schwieriger sein wird als auf der Halbinsel Krim, die nur durch einen Flaschenhals mit dem ukrainischen Festland verbunden ist. Boris Litwinow: "Vor drei Wochen kam ein pensionierter Oberst des Grenzschutzes zu mir, der mich gefragt hat, ob wir verstehen, wie eine Grenze zu schützen ist. Der Oberst hat sich angeboten, diese Aufgabe zu übernehmen. Wir haben hier in Donezk sehr viele erfahrene Leute, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Und nur ein dummer Mensch wäre nicht bereit, diese Angebote anzunehmen, umso mehr, wenn diese Kader zur Arbeit bereit sind."

Die Kreise Donezk und Lugansk sind zusammen 53.000 Quadratkilometer groß, das entspricht mehr als der Hälfte der Fläche Österreichs. Doch während Österreich 8,4 Millionen Einwohnet hat, haben beide Kreise zusammen knapp sieben Millionen Bewohner. Bisher marschierten Donezk und Lugansk eher getrennt, zur Unabhängigkeit; das soll sich nun ändern, betont Litwinow:

"Das muss ein föderaler Staat sein, vielleicht auch eine Konföderation, doch darüber muss man verhandeln. Aber wir müssen einander helfen, weil wir durch die Wirtschaft verbunden sind. Donezk und Lugansk haben dieselbe wirtschaftliche Struktur daher müssen wir zusammenarbeiten."

Mit wem verhandeln?

Ziel soll jedenfalls der Eintritt in die Rubelzone und eine Zollunion mit Russland sein. Russlands Präsident Vladimir Putin hat nach den Referenden nun Verhandlungen zwischen Kiew und den beiden Bezirken unter Vermittlung der OSZE vorgeschlagen. Dazu sagt Litwinow: "Für die Volksrepublik von Donezk sind die Worte Ukraine und Kiew derzeit wie das rote Tuch für einen Stier, die enormen Widerstand hervorrufen. Doch als Pragmatiker weiß ich, dass Verhandlungen nötig sind. Die Frage ist nur, mit wem verhandeln. Da kommt wohl nur das ukrainische Parlament in Frage. So wie Putin gesagt hat, müssen die Truppen abgezogen werden. Das ist eine Voraussetzung. Hinzu kommt, dass auf den Kreis Donezk mehr als zehn Prozent der ukrainischen Wirtschaftsleistung entfällt. Gemeinsam mit Lugansk sind es 20 Prozent des Industriepotenzials und noch mehr Steuereinnahmen. Wenn wir unsere Beziehungen abbrechen, dann stürzt die Ukraine ein."

Dieser Fall könnte noch tiefer werden, weil Litwinow damit rechnet, das weitere Kreise dem Beispiel von Donezk und Lugansk folgen werden, deren Abspaltung nicht nur die wirtschaftlich krisengeschüttelte Restukraine, sondern auch die EU und die internationalen Finanzinstitutionen treffen könnte.