Bobbies im Müll

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Öffentlich-Rechtliche

"Kein Sturm, sondern ein Klimawechsel“

Die medienpolitischen Weichenstellungen in Österreich laufen vor einem brisanten Hintergrund ab: Im gesamten deutschen Sprachraum wird zum Teil heftig über die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen diskutiert. In der Schweiz wird es im März 2018 eine Volksabstimmung über die Abschaffung der dortigen Rundfunkgebühr geben. Die öffentlich-rechtliche SRG bangt um ihre Existenz. Längst ist die Rede von einer Legitimationskrise. Und das sei "kein böser Sturm, der vorüberzieht, das ist ein heftiger Klimawechsel", sagt Stefan Raue, Intendant vom gebührenfinanzierten Deutschlandradio.

In Österreich fordern FPÖ und NEOS das Ende der Rundfunkgebühr, die pinke Partei hat mit der Aktion "GIS abdrehen!" schon 160.000 Unterschriften im Netz gesammelt. Die Blauen sind auf dem Sprung in die Regierung und werden von dort aus Druck machen. In Deutschland fordert die mittlerweile im Bundestag vertretene rechtspopulistische AfD ebenfalls das Aus für die Gebühren – acht Milliarden Euro sind das dort für ARD, ZDF & Co. Doch Stefan Raue, der viele Jahre beim Mitteldeutschen Rundfunk MDR in Sachsen – der Hochburg von AfD und Pegida – gearbeitet hat, warnt hier vor einer verkürzten Sichtweise.

Stefan Raue im Interview Stefan Kappacher, Teil 1

Höhe der Rundfunkgebühren im Vergleich

Gebühren-Protest kommt aus der Mitte


Was etwa die AfD anstrebe, das gehe weit über die aktuelle Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen hinaus. "Denen geht es um eine bestimmte Berichterstattung, wie sie sich das vorstellen, und nicht um eine objektive", so Raue. Die AfD nütze die Legitimationsdebatte über ARD und ZDF für die eigenen Interessen in diesem Bereich. Die Krise der Öffentlich-Rechtlichen gehe aber viel tiefer. Der Deutschlandradio-Chef spricht von einer Grundzufriedenheit der Menschen, die aber nicht belastbar sei: "Ob ich in einer öffentlichen wilden Debatte dann auch für die Sender eintrete, ist aber eine andere Frage." Die Öffentlichen-Rechtlichen hätten einfach zu wenig Fans, sagt Raue.

Stefan Raue im Interview Stefan Kappacher, Teil 2

Stefan Raue

DEUTSCHLANDRADIO/BETTINA FÜRST-FASTRÉ

Stefan Raue

"Vielleicht waren wir auch zu hochnäsig"

Für den Intendanten des Deutschlandradios (dessen Programme übrigens Deutschlandfunk heißen) hängt das sehr stark mit Auftreten und Image zusammen. "Wir haben viele Jahre nicht gedacht, dass wir uns selbst auch darstellen müssen. Legitimation ist nicht etwas, das man geschenkt bekommt. Die muss man erarbeiten und erkämpfen." Stefan Raue spricht von einer Hierarchie in den Köpfen der Medienbranche, in der die Öffentlich-Rechtlichen ganz oben stünden: "Das spüren die betroffenen Kollegen, und das spürt das Publikum. Da ist was schiefgelaufen. Vielleicht waren wir zu hochnäsig, vielleicht haben wir zu wenig Rücksicht genommen auf das, was im Print-Bereich in den vergangenen Jahren vor sich gegangen ist. Da ist ja kein Stein auf dem anderen geblieben."

Anerkennen, was private Medien leisten

Raue plädiert für mehr Gemeinsamkeit in der Branche, man sollte sich gegenseitig unterstützen und dem anderen Respekt entgegenbringen. "Man muss anerkennen, was die Privaten auf die Beine gestellt haben, was sie unter schwierigen Bedingungen auch an Informationsangeboten entwickelt haben. Das lässt sich nicht immer messen mit dem, was die Öffentlich-Rechtlichen vorlegen, die arbeiten aber auch mit einer ganz anderen finanziellen Basis, habe eine ganz andere Erfahrung und Zielrichtung, müssen sich nicht refinanzieren." Man sollte das respektieren und nicht permanent Vergleiche anstellen, sagt Stefan Raue. "Es hilft uns auch kein bisschen, wenn wir die Kollegen auf irgendeine Weise herunterputzen oder auf sie hinabschauen."

Stefan Raue im Interview Stefan Kappacher, Teil 3

Die Unabhängigkeit ist entscheidend

Wie wichtig es ist, die Öffentlich-Rechtlichen wieder stärker zu legitimieren, das verdeutlicht die Medienwissenschafterin Katharine Sarikakis von der Universität Wien an zwei Extrembeispielen: "In den USA, wo praktisch hundert Prozent der Medienlandschaft in privater Hand ist, haben wir Donald Trump bekommen. In anderen Fällen, wo die Öffentlich-Rechtlichen komplett in der Hand des Staates sind, haben wir autokratische, antidemokratische Regierungen bekommen", spielt Sarikakis auf die Situation in Ungarn und Polen an.

Wo es Rundfunkgebühren gibt

Große Bedeutung für den Zusammenhalt

Die öffentlich-rechtlichen Medien seien für eine Gesellschaft extrem wichtig, sagt die Medienexpertin. "Wir brauchen sie, weil sie Räume schaffen. Räume zum Nachdenken, die manchmal unbequem sind. Und das bekommen wir nicht von den Privaten. Denn das Unbequeme bringt kein Geld." Die Öffentlich-Rechtlichen gehören den Gebührenzahlern, also der Allgemeinheit. Und ihr wichtigster Auftrag sei es auch, den Zusammenhalt zu fördern. Sarikakis: "Privatmedien und Internet schaffen nur weitere Fragmentierungen der Gesellschaft." Privater Public Value - also journalistischer Mehrwert - sei möglich, aber nur begrenzt. Denn im Zweifelsfall stehe bei kommerziellen Medien der Profit im Vordergrund.

Gestaltung

Übersicht