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Radiokolleg
Österreich nach 1945
Ein bitterarmes und zutiefst verunsichertes Land: das ist Österreich im Gründungsjahr der Zweiten Republik. Das Terror-Regime der Nationalsozialisten ist in Blut und Schande untergegangen, das Land und die alten Werte liegen in Trümmern, Heerscharen von "Displaced Persons" und Geflüchteten müssen versorgt werden. Sechs bis sieben Millionen Menschen, geplagt von Hunger und allgegenwärtigem Mangel, kämpfen ums Überleben
24. März 2025, 15:58
Sendungen hören
Radiokolleg - Der Kampf ums Überleben | 24 03 2025
Radiokolleg - Die Alliierten - Besatzer und Befreier | 25 03 2025
Radiokolleg - NS-Täter vor Gericht | 26 03 2025
Radiokolleg - Neues Leben blüht aus den Ruinen | 27 03 2025
„Mit einem Kilo Brot musste ich mit Ingele eine Woche lang auskommen - und dafür drei bis vier Stunden stehen“, schreibt eine junge Frau im Mai 1945 an ihren Mann, der in der Sowjetunion in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Sechs bis sieben Millionen Menschen, geplagt von Hunger und allgegenwärtigem Mangel, kämpfen im Gründungsjahr der Zweiten Republik um das Überleben.
Österreich ist ein bitterarmes und zutiefst verunsichertes Land „Wenn ich durch die Straßen gehe, vergesse ich mein eigenes Elend und es ist mir so weh ums Herz bei diesem Anblick“, notiert ein Kriegsheimkehrer 1947. Das Land liegt in Trümmern, Heerscharen von Vertriebenen und Geflüchteten müssen versorgt werden. Circa 700.000 Besatzungssoldaten halten sich in den ersten Jahren nach 1945 in Österreich auf. Vor allem in der sowjetischen Zone stehen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung auf der Tagesordnung.
Gemeinsam erinnern
Ö1 hört zu und nimmt auf
Mit welchen Geschichten aus der Nachkriegszeit sind Sie aufgewachsen? Wir laden Sie ein uns zu erzählen, was ihre Familien erlebt haben.
Ö1 hört zu und nimmt auf
Anhand von Tagebucheinträgen, Briefen und Aufnahmen aus dem ORF-Archiv und der Österreichischen Mediathek tauchen wir ein in diesen beschwerlichen Alltag, an den 2025 nicht einmal mehr die 80-Jährigen eigene Erinnerungen haben, weil sie in diese Welt gerade erst hineingeboren wurden. Was es gibt, sind Familiengeschichten, die von einer Generation zur anderen erzählt werden und von Müttern auf der Flucht oder von russischen Kinderliedern und amerikanischer Schokolade handeln.
Was Menschen in einem vom Krieg zerstörten Land durchmachen müssen, wird das Radiokolleg von 24. bis 27. März aufarbeiten. Nach der Sendung werden wir unsere Hörer:innen einladen, uns anzurufen und zu erzählen, was ihre Familien erlebt haben. Ö1 hört zu und nimmt auf. Mit dem Oral-History-Projekt wollen wir Ihre Familiengeschichten und damit das Alltagswissen über die Zeit von 1945 bis 1955 hör- und sichtbar machen.
80 Jahre Zweite Republik
In Kooperation mit ORF Topos werden auch prominente Zeitzeug:innen ihre Erfahrungen im Kontakt mit Alliierten schildern, darunter Franz Vranitzky in Wien-Dornbach, Barbara Coudenhove-Kalergi im Lungau in Salzburg oder Teddy Podgorski über seinen Weg von Admont nach Wien. Auf der Ö1 Website wird ein kollektives Gedächtnis mit Audios, Texten und Videos entstehen. Ausschnitte werden in Sendungen zum Ö1 Schwerpunkt „80 Jahre Zweite Republik“ einfließen.
Wie sich Österreich neu formierte
„Wie sich Österreich neu formierte“ ist das Thema einer Spezialausgabe des Radiokollegs, das am 22. April startet - gemeinsam mit der neunteiligen TV-Serie Titel und einer ZiB Wissen zur Zweiten Republik.
In sechs Folgen beleuchtet das Radiokolleg, wie aus Ruinen ein neuer Staat aufgebaut wurde. Welche Rolle spielen Gründungsmythen, wie der „Opfermythos“ oder die „Trümmerfrauen“ im Prozess des Nation Building? Wie wurde eine österreichische Identität entwickelt, da sich doch die Mehrheit der Bevölkerung als Deutsche sahen? Welche Rolle spielten die Alliierten bei der Schaffung des politischen Systems und dem Wiederaufbau der Infrastruktur? Aus welchen kulturellen Versatzstücken wurde das österreichische Selbstverständnis gebastelt, und wie wurde das neue Selbstbild inszeniert?
Von der Welt wurde Österreich als souveräne Nation mit der Staatsvertragsunterzeichnung 1955 anerkannt. Das Nationalbewusstsein der Österreicher:innen wurde erstmals 1956 erhoben, damals glaubte weniger als die Hälfte der Befragten, dass Österreich eine eigene Nation sei. In den 1970er Jahren waren es bereits mehr als die Hälfte, und Anfang des neuen Jahrtausends sehen weit mehr als drei Viertel Österreich als eigene Nation. Nation Building ist also ein Prozess, der permanent im Gange ist.