Ö1 bis zwei
mit Mirjam Jessa. Schwäne, Kraniche, Wildgänse und die Obertonreihe einer Wiese
3. Jänner 2013, 13:00
1984 hat der große amerikanische Komponist Morton Feldman bei den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt folgende erinnerungswürdige Worte zu seinem nach Avantgarde lechzenden Publikum gesagt: Die Leute, die Sie für Radikale halten, könnten in Wirklichkeit Konservative sein. Und die Leute, die Sie für Konservative halten, in Wirklichkeit Radikale. Und dann hat er angefangen Sibelius' 5. Symphonie zu summen.
Jetzt gibt es jede Note die Sibelius je komponiert hat auf CD, die Gesamtedition der Plattenfirma BIS ist auch in Teilen zu erstehen, etwa die Box mit den sieben Symphonien. Eine faszinierende Erkundungsreise, die einem auch eine schwierige, komplexe Persönlichkeit näher bringt, die nichts mit den Klischees und dem eindimensionalen Bild zu tun hat, das wir in unseren Breiten gemeinhin von Sibelius haben.
Aus den Geräuschen der Natur extrahierte er absolute Musik, das Rauschen der Wälder, das Plätschern des Sees - das waren für ihn bestimmte Akkorde. Und einmal hat er einer verblüfften Gruppe finnischer Studenten einen Vortrag gehalten über die Obertonreihe einer Wiese.
Mit den Kranichen, Schwänen und Wildgänsen fühlte er eine tiefe Verwandtschaft. "Die Schwäne", notierte Sibelius als er seine 5. Symphonie mit dem Schwanenlied im letzten Satz komponierte, "Die Schwäne sind immer in meinen Gedanken und geben dem Leben Glanz. Es ist sonderbar feststellen zu müssen, dass nichts in dieser Welt, nicht in Kunst, Literatur oder Musik mich so sehr beeindruckt wie diese Schwäne, Kraniche und Wildgänse. Deren Gesang und Wesen."
Über dreißig Jahre vor seinem Tod hörte Sibelius offiziell zu komponieren auf. Drei Tage vor seinem Tod 1957 kreisten wieder die Kraniche über seinem Haus, die Vögel seiner Jugend. Einer löste sich aus dem Schwarm, rief laut und flog davon.
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