Hans Magnus Enzensberger zu Gast

Literatur im Nebel

Nach Salman Rushdie, Amos Oz, Jorge Semprun und Margaret Atwood ist Hans Magnus Enzensberger am kommenden Freitag und Samstag der fünfte Ehrengast des Literaturfestivals "Literatur im Nebel" in Heidenreichstein im nördlichen Waldviertel.

Mittagsjournal, 20.10.2010

Als intellektuelle Stimme Deutschlands hat Enzensberger die Politik seines Landes begleitet - in Essays, Gedichten und Prosaarbeiten. Prominente Schriftstellerkollegen und Schauspieler werden jetzt mit Lesungen, Gesprächen, Vorträgen und Diskussionen das Werk des 80-Jährigen würdigen.

Unzählige Debatten angestoßen

Der Titel eines Essays von Hans Magnus Enzensberger ("Über die Schwierigkeit ein Inländer zu sein") ist das ist das Motto des ersten Abends in Heidenreichstein. Er selbst habe zu dem Thema alles gesagt, meint Enzensberger: "Damit habe ich mich beschäftigt, als die Leute noch behauptet haben, es wäre gar kein Einwanderungsland. Das haben sämtliche große Parteien 20 Jahre lang behauptet. Jetzt reden die anderen alle darüber, jetzt gibt es tausend Experten, Bücher, Sendungen, alles voll davon. Das bedeutet für mich, dass ich mich nicht auch noch nach 20 Jahren nochmal dazu äußern soll. Das sollen die anderen machen."

Hans Magnus Enzensberger er hat unzählige kulturelle und politische Debatten angestoßen und mit markanten Worten die öffentliche Diskussion in Deutschland mitgeprägt. Ob er vom "Null-Medium" Fernsehen sprach, Gefahren bürgerkriegsähnlicher Zustände in Deutschland durch soziale Spannungen befürchtete oder die Ausplünderung der Dritten Welt anprangerte. Als Lyriker oder Soziologe, als Essayist oder Philosoph als Dramatiker oder Medientheoretiker - stets verkörpert Enzensberger den Intellektuellen, der aktuelle Gesellschaftsentwicklungen nicht nur konstatiert, sondern darauf auch in einer politischen Praxis reagiert.

Feststellen, was der Fall ist

Die Aufgabe des Intellektuellen definiert er so: "Diese Leute, die dafür bezahlt werden, sollen wenigstens versuchen herauszufinden, was los ist, feststellen, was der Fall ist. Es wird von ihnen aber auch noch mehr erwartet, nämlich dass sie die Lösung darstellen sollen. Und damit sind diese Leute im Allgemeinen überfordert."

Lösungen zu finden, das sei die Aufgabe der Politik, sagt Enzensberger. Die Politik allerdings sein langweilig geworden: "Das ist ja eigentlich ein ganz gutes Zeichen, weil je dramatischer, desto gefährlicher die ganze Sache. Die Nachfolge Stalins wurde ja mit Pistolen ausgetragen. Hier ist das ja gar nicht so spannen, ob das der Herr Soundso ist als Fraktionsvorsitzender - das ist ja vollkommen wurscht."

Das Scheitern der Utopie

Immer wieder hat Hans Magnus Enzensberger das Publikum und die politische Öffentlichkeit überrascht - auch dadurch, dass er mitunter seinen Standpunkt änderte. Konstanten gibt es dennoch, etwa Enzensbergers großes Thema: das Scheitern der Utopie und seinen Anspruch, sich auf keine bestimmte Rolle festlegen zu lassen, weder auf die des Moralisten, noch auf die des Outsiders. Schließlich gehe es nur um das eine: die Gesellschaft aus den unterschiedlichsten Perspektiven immer wieder zu hinterfragen.

"Schon aus Gründen der Notwehr müssen wir uns mit Politik beschäftigen. 'Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt' war mal so ein 68er-Spruch glaub' ich", schmunzelt Enzensberger.

"Vielleicht muss man bis ans andere Ende der Welt reisen, um der Abgebrühtheit unseres Kulturbetriebs zu entrinnen", hatte Enzensberger anno 1999 geschrieben. Und vielleicht wird er in Heidenreichstein, im nördlichen Waldviertel, diesen Ort finden.

Textfassung: Rainer Elstner